Kommentar:Kunst im Hinterzimmer

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Auch zum Geretsrieder Kulturherbst muss sich die bildende Kunst mit einem Provisorium begnügen

Von Felicitas Amler

Man stelle sich einmal vor, ein Läufer müsste seine Bahn erst eigenhändig anlegen, bevor er starten könnte; oder ein Weitspringer müsste den Sand selbst ranschaffen, in dem er landen möchte. Völlig absurd! Keine Kommune, die auf sich hält, würde das ihren Sportlern zumuten. Mit den bildenden Künstlern geht man hingegen genau so um. Keineswegs nur in Geretsried. Aber von dort gibt es ein aktuelles Beispiel, das zeigt, wie desolat die Lage ist.

Zum Geretsrieder Kulturherbst tragen das Kulturforum und der Kulturverein Isar-Loisach (KIL) eine Ausstellung bei. Sie tun dies in einem der am wenigsten zur Präsentation von Kunst geeigneten Räume der Stadt: im Saal des TUS-Vereinsheims an der Jahnstraße. Dieser Raum über der Gaststätte und der Altentagesstätte hat den Charme eines vergessenen Hinterzimmers. Er bietet weder ausreichend Wandfläche noch geeignetes Licht zur Präsentation von Kunstwerken. Er hat auch - da er ja ganz anderen Zwecken dient - kein einladendes Entree. Die KIL-Frauen Andrea Weber und Assunta Tammelleo wollen ihn in eine "Villa Bunterkunst" verwandeln. Das darf man ihnen getrost zutrauen. Sie werden mit Stellwänden, Lampen, viel Fantasie und noch mehr gutem Willen das Bestmögliche aus dem Unmöglichen machen. Ehrenamtliche werden alles herankarren, was gebraucht wird, werden Hand anlegen und beweisen: Es geht doch!

Das mag schon sein. Es ist aber überhaupt nicht einzusehen, warum immer - und fast überall im Landkreis - die bildende Kunst mit Provisorien, mit Behelfsgalerien und schieren Notlösungen auskommen muss. Das ist demütigend für ernsthafte Künstler, kaum attraktiv fürs Publikum und am Ende schädlich für die Kunst. Dort hingegen, wo die öffentliche Hand Räume schafft - von einer eigenen kommunalen Galerie wagt man ja kaum zu träumen -, die angemessen Platz bieten, konservatorisch sowie versicherungstechnisch geeignet und nicht zuletzt architektonisch freundlich, offen, modern, einladend sind, dort entwickelt sich eine Kunstszene. Und nur eine solche bringt die Kunst zum Blühen.

Geretsried ist gerade an einem entscheidenden Punkt: Auf dem Lorenzareal und dem Karl-Lederer-Platz stellt die Stadt mit einem wichtigen Bauunternehmer die Weichen für eine gute soziale und städtebauliche Entwicklung. Es ist die Gelegenheit, endlich auch etwas für die Kunst zu tun. Wann, wenn nicht jetzt. Wer, wenn nicht Geretsried.

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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