Kommentar:Kunst darf provozieren

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Die Hindenburg-Diskussion in Dietramszell ist grotesk, aber leider noch nicht ausgestanden

Von Petra Schneider

Wegen einer Bronzebüste ist die Gemeinde Dietramszell zerstritten, Menschen werden angefeindet, die Gemeinde macht sich zum wiederholten Mal lächerlich. Das ist grotesk und leider noch nicht ausgestanden. Im Gemeindebrief stellt sich nun auch die Bürgermeisterin auf die Seite derjenigen, die in Wolfram Kastner keinen Künstler, sondern einen Sachbeschädiger sehen. Es ist vermutlich ein Versuch, von eigenen Fehlern abzulenken: Denn hätte sich Gröbmaier nach der verheerenden Ehrenbürgerabstimmung zügig und entschlossen dem Thema Hindenburgbüste zugewandt, anstatt immer nur auf irgendwelche Arbeitsgruppen zu verweisen, die bisher keinerlei Ergebnisse vorgelegt haben, wäre Wolfram Kastner nie auf den Plan getreten.

Der Versuch, die Gemeinde im Inneren durch einen gemeinsamen "Gegner" von Außen zu einen, wird vermutlich nicht gelingen. Denn es gibt in Dietramszell genügend Bürger, die froh sind, dass die Hindenburg-Büste weg ist vom Dorfplatz. Dies ist im Rahmen einer provokanten Aktion geschehen, deren künstlerischen Wert die Bürgermeisterin nicht akzeptieren will. Dabei ist die Aktion Kastners Kunst im besten Sinn: Durch eine künstlerische Aneignung wird Gewohntes verfremdet. Das soll Irritationen auslösen und Reflexionen ermöglichen. Kunst hat immer mit einer veränderten Wahrnehmung zu tun, mit einem Herauslösen aus vertrauten Zusammenhängen, mit ungewohnten Sichtweisen und Perspektiven. Kunst, die etwas bewirken will, soll und darf provozieren. Sonst bleibt sie belanglos oder höchstens erbaulich. Im Fall der Büste ist es die plötzlich entstandene Leerstelle, die Fragen aufwerfen könnte: Will man eine Hindenburg-Büste am Durchgang zu einer Schule? Trägt sie positiv zur Ortsidentität bei? Welche Haltung will die Gemeinde zu ihrer Vergangenheit einnehmen? Diese Fragen wurden bisher nicht gestellt, zumindest nicht öffentlich. Stattdessen wird eine Anti-Kastner-Diskussion geführt und seine Aktion als "klamauk- und rabaukenhaftes Handeln" diffamiert.

Mit ihrer Interpretation verbaut sich die Bürgermeisterin einen souveränen Umgang mit der Aktion, die die Chance für Dialog und Veränderung böte. Und bereitet so den Nährboden für emotionsgeladene Abwehrreaktionen. Die Galgenpuppe ist eine solche. Wenn Dietramszell in der Öffentlichkeit als verstocktes Dorf wahrgenommen wird, in dem Einflüsse von außen als bedrohlich empfunden werden, ist das auch der Bürgermeisterin und ihrer Hinterzimmerpolitik zuzuschreiben.

© SZ vom 15.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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