Auf den Aufklebern, die Mitglieder der rechtsradikalen "Identitären Bewegung" am Wochenende an das Wahlkreisbüro des linken Bundestagsabgeordneten Andreas Wagner geklebt haben, stand etwas von einer "Revolte gegen den großen Austausch". In der Ideologie der völkisch gesinnten Gruppierung wird so wohl der Protest gegen Flüchtlinge genannt, von denen man den Verlust der eigenen Identität befürchtet. Die Aufkleber jedenfalls konnte Wagner einfach abziehen. Das Gedankengut aber, für das sie stehen, klebt in immer mehr Köpfen - auch im Landkreis. Und das ist beängstigend.
Wohin derlei völkische Ideologien führen, konnten die Elftklässler der Geretsrieder Waldorfschule kürzlich in Berlin erfahren. Von Peter Rotholz, der als Jude in Deutschland aufgewachsen ist, in Dresden zur Schule ging und 1938 vor der Verfolgung der Nazis fliehen musste. Er kam nach Großbritannien und dann in die USA, wo er eine neue Heimat fand. Rotholz gehört zu den letzten noch lebenden Zeugen einer Zeit, in denen Menschen aus diesem Land fliehen mussten, um zu überleben. Und auf Menschen in anderen Ländern angewiesen waren, die ihnen eine Chance und ein Zuhause gaben, damit sie ihre Identität wahren konnten. Es war ein intensiver Austausch mit einem Menschen, der die Erfahrung gemacht hat, vor Verfolgung fliehen zu müssen.
So ein Austausch ist wichtig, nicht nur mit Zeitzeugen des Nazi-Regimes, die immer weniger werden. Auch mit den Menschen, die derzeit auf Hilfe angewiesen sind. Ihre Erfahrungen kann man dem rechten Gedankengut entgegensetzen, das auf Angst und Abgrenzung setzt. Gerade in einer Zeit, in der das selbst eine Volkspartei tut, um am rechten Rand Stimmen zu sammeln, sollten mehr junge Leute solche Gespräche führen. Die Geretsrieder Schüler jedenfalls waren beeindruckt von dem Austausch mit dem "Gentleman", wie sie Rotholz beschrieben. Sie wollen die Erinnerung bewahren, um nicht zu vergessen.