Kommentar:Beschämend für ein reiches Land

Es kann nicht sein, dass ein reiches Land zusieht, wie Mitglieder seiner Gesellschaft in die Obdachlosigkeit abrutschen

Von Katharina Schmid

Sie sind der vergessene Teil unserer Gesellschaft. Sie sind zu wenige, um sich selbst durch demokratische Mittel Gehör zu verschaffen. Ihre Lobby ist zu leise, um von Politik und Gesellschaft nachhaltig gehört zu werden. Es geht um die Menschen ohne Wohnung. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Obdachlosen in Deutschland dramatisch gestiegen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe erwartet für 2018 mehr als eine Million Menschen ohne feste Bleibe. Diese Entwicklung betrifft nicht nur Großstädte. Auch hier, mitten in Wolfratshausen, steigt die Zahl der Menschen, die sich die Miete nicht mehr leisten können, kontinuierlich an. Wohnraum wird teurer, Sozialwohnungen gibt es zu wenige, Wartezeiten für Berechtigungsscheine sind lang. Was dabei am meisten beunruhigt: Mehr und mehr Frauen und Kinder sind heute gezwungen, in Obdachlosenheimen oder auf der Straße zu leben. Der typische Obdachlose, es ist längst nicht mehr der Mann mit Bierdose in der Hand.

Für ein Land, in dem die Wirtschaft boomt und viele immer reicher werden, ist diese Entwicklung beschämend. Es ist gerade die Aufgabe einer Gesellschaft, die im Wohlstand lebt, ihre schwachen Mitglieder nicht zu vergessen. Und sich nicht nur auf die Arbeit von Sozialverbänden zu verlassen. Diese ist wertvoll, reicht aber lange nicht aus. Vielmehr ist die Politik gefragt. Sozialer Wohnungsbau muss forciert, günstiger Wohnraum geschaffen werden. Es kann nicht sein, dass ein reiches Land zusieht, wie Mitglieder seiner Gesellschaft in die Obdachlosigkeit abrutschen. Diese Entwicklung muss durchbrochen werden. Schleunigst. Und nachhaltig.

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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