Kommentar:Alles Müller, oder was?

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Die Geretsrieder Stadträte lassen den Haushaltsentwurf ohne Debatte passieren

Von Felicitas Amler

Schwer zu glauben, dass jemand dem amtierenden Geretsrieder Bürgermeister den Job streitig machen möchte. Oder der CSU ihre Vorreiterrolle in der Stadtpolitik. Dazu müssten ja wenigstens ein Grund, ein Thema, ein Ziel benannt oder Alternativen und neue Weichenstellungen gefordert werden. Dafür gab es gerade Gelegenheit: die erste Beratung des städtischen Haushalts 2020. Doch die ging am Dienstag ohne jegliche Intervention von Grünen, SPD und Freien Wählern vonstatten. Alle stimmten dafür, die Planung genauso an den Stadtrat weiterzureichen, wie die Kämmerei und der Bürgermeister sie vorgelegt hatten. Und einzig Michael Müller selbst fand es der Mühen wert, seinen Standpunkt und seine Absichten mit einer vorbereiteten Grundsatzrede darzulegen.

Der Haushalt mag auf manche wie ein trockenes finanztechnisches Zahlenwerk wirken. Tatsächlich ist er das politische Instrument des Stadtrats. Dies umso mehr, als er in Geretsried nicht nur das laufende Jahr umfasst, sondern explizit einen Planungsraum von vier Jahren eröffnet. Wer außerhalb des Sitzungssaals gern und laut für mehr Klimaschutz eintritt, darf in der Haushaltsberatung nicht schweigen. Wer sich verbal für mehr öffentlich geförderte Wohnungen stark macht, muss sagen, an welcher Haushaltsstelle er das festmachen will. Wer mehr Raum für Kultur oder Sport oder Soziales fordert, muss aufzeigen, wie sich das in der Finanzplanung darstellen lässt. Ohne diese Anstrengung wird es bei Worten bleiben, die verhallen, und bei Papieren, die in Schubladen verschwinden.

Das Wort "Wahlkampf" hat für viele eine negative Konnotation. Jemand mache ja nur Wahlkampf, heißt es oft abschätzig, als sei dies ein verwerflicher Akt. Tatsächlich kann Demokratie ohne Wahlkampf nur schwer gedeihen. Wie sollen Wählerinnen und Wähler entscheiden, wo sie ihr Kreuz machen, wenn Kandidatinnen und Kandidaten nicht im verbalen Schlagabtausch Unterschiede erkennbar machen? Wer für einen neuen Weg brennt, wer leidenschaftlich eine Veränderung erreichen möchte, muss sich mit der Gegenseite auseinandersetzen - und am Ende auch einmal Nein sagen zu etwas, was er nicht voll mittragen kann. Dass fünf Wochen vor der Kommunalwahl in einer Haushaltssitzung um nichts gekämpft wurde, wirkt deprimierend.

Ein Stadtrat, nach der Sitzung auf dieses Defizit an Streitkultur angesprochen, meinte, das sei ja erst einmal nur der Hauptausschuss gewesen, die Stadtratssitzung stehe noch bevor. Nun sind wir schon sehr gespannt auf eine anregende, mitreißende, fruchtbare, stürmische Debatte, mit der das Plenum die Zuhörer überraschen wird.

© SZ vom 06.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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