Kolumne:Ein Ring, sie zu knechten

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Warum ein Schmuckstück verloren ging

Kolumne von Korbinian Eisenberger

Im Fundbüro einer Gemeinde in der Region stehen die Mitarbeiter vor einer Herausforderung, an denen Zwerge, Elben und Hobbits sich verlässlich die Zähne ausbeißen: Vor gut einem halben Jahr ist den Mitarbeitern ein Ring zugetragen worden, den sie nicht mehr loswerden. "Wir haben alles versucht, damit wir den Träger finden", erklärt eine Mitarbeiterin des Fundbüros. Bleischwer liegt der Ring in einer Schublade des Fundamts - und macht die Gemeindemitarbeiter zu Gefährten einer heiklen Mission.

Ein Ring, sie zu knechten? Ins Dunkel zu treiben? Dorthin, wo die Schatten droh'n? Gott bewahre, werden sie in der Gemeinde sagen. Zumal es ja noch Hoffnung gibt. Die eingravierten Zeichen sind glücklicherweise nicht von elbischer Art. Sie lassen eher darauf schließen, dass es sich um das Eigentum eines irdischen Mannes älteren Semesters handelt. Ganz offenbar hat der Herr des Ringes am 14. September 1968 eine Frau geheiratet, ihr Vorname und das Trauungsdatum sind gut lesbar eingraviert.

Ein Bürger hat diesen Ring vor mehr als einem Jahr gefunden und zunächst behalten, auch das ist vom Fundamt zu erfahren. Der Finder wäre bis zum Ende mit ihm gegangen. Dann aber entschloss er sich, die Last des Ringes dem Fundamt zu übertragen. Dort liegt er nun vor sich hin, und macht keine Anstalten, zu seinem Herrn zurückzukehren. Im Fundamt haben sie alles versucht: Sie waren beim örtlichen Standesamt und bei der Kirche. Fehlanzeige. Im Ort hat diese Trauung wohl nie stattgefunden. Dieser Ring kommt von weiter her. Vor langer Zeit in fernen Feuern entstanden. Ein Ring, geschmiedet, um den Träger zu knechten und ewig zu binden. Oder wie man im echten Leben sagt: Ein Ehering.

© SZ vom 27.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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