Inklusion:Schulen sehen sich schlecht vorbereitet

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Rektoren raten vielen Eltern ab, ihre Kinder mit Förderbedarf an eine Regelschule zu schicken - nicht nur wegen des fehlenden Personals.

Benjamin Engel

In dieser Woche haben Eltern ihre Kinder zum Besuch der ersten Klasse im kommenden Schuljahr an den Grundschulen im Landkreis eingeschrieben. So wie alle Regelschulen sind diese verpflichtet, Kinder mit besonderem Förderbedarf oder Behinderungen aufzunehmen, sollten Eltern das wünschen. Seit diesem Schuljahr gilt an Bayerns Schulen der Grundsatz der Inklusion. Doch in der Umsetzung gibt es Mängel: Die Schulen sind personell nicht genug ausgestattet, es fehlt an passendem Unterrichtsmaterial.

"Manche Kinder wären an einer Förderschule besser aufgehoben", sagt deshalb August Kruis, der stellvertretende Leiter der Geretsrieder Franz-Marc-Förderschule. Eine Einschätzung, die der Tölzer Schulamtsdirektor Norbert Weinhuber sowie Reinhold Rohr, Rektor der Grundschule am Lettenholz in Bad Tölz, teilen. Die Franz-Marc-Schule, eine von drei sonderpädagogischen Einrichtungen im Landkreis, besuchen vor allem Schüler mit Entwicklungsverzögerungen, sprachlichen Defiziten, Lernschwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten.

Würde bei der Einschreibung ein erhöhter Förderbedarf festgestellt, empfehle er den Eltern, ihre Kinder an eine Förderschule zu schicken, sagt Kruis. Denn dort könnten die Schüler seiner Ansicht nach besser gefördert werden als an Regelschulen. Dies betreffe vor allem die Bereiche Sprache und Lernen sowie die soziale und emotionale Entwicklung.

Zudem gingen im Schnitt nur rund zehn Schüler in eine Klasse, an einer Regelschule hingegen etwa 25 Kinder. Um lernen zu können, brauchten viele Kinder diesen sozialen Schonraum, sagt Kruis. "Kinder sind zwar an einer Regelschule im Dorf sozial gut integriert, ob dort aber erfolgreiches Lernen stattfindet, ist eine andere Frage." Letztlich zähle aber der Elternwille, sagt Kruis. Er könne die Eltern nur beraten.

Gut 20 Kinder mit erhöhtem Förderbedarf gehen nach Schätzungen von Rektor Rohr an die Tölzer Grundschule am Lettenholz. Betroffenen Eltern schlage er zwar immer wieder vor, ihr Kind an eine Förderschule zu schicken. Doch von vier Kindern mit anerkanntem Förderbedarf schickten die Eltern nur eines an eine Förderschule, sagt Rohr. Alle anderen gingen an eine Regelschule. "Dann findet Inklusion ohne zusätzliche Mittel statt."

Die Lehrkräfte an seiner Schule arbeiteten mit individuell abgestimmten Förderplänen und versuchten jedem einzelnen Schüler gerecht zu werden. "Wir können aber nicht die Qualität wie an einem Förderzentrum bieten", sagt Rohr. Dazu fehle es an Zeit, entsprechenden Unterrichtsmaterialien und Personal. Auch die Förderstunden seien nicht ausreichend, um Lernschwächen auszugleichen.

Nur drei Stunden pro Woche betreue eine Lehrkraft vom Mobilen Sonderpädagogischen Dienst die Kinder mit Förderbedarf. Das sei viel zu wenig. Manche dieser Kinder müssten mit ständigen Misserfolgserlebnissen leben, sagt Rohr. Trotzdem wollten viele Eltern ihr Kind von vornherein nicht an eine Förderschule schicken. Sie glaubten einfach nicht, dass das Schulsystem durchlässig sei. Dabei besuchten seit sechs Wochen zwei Kinder aus der Förderschule zum Beispiel die zweite Klasse an seiner Grundschule. Das gehe problemlos, sagt Rohr.

Inklusion sei grundsätzlich sinnvoll, sagt der Tölzer Schulamtsdirektor Weinhuber. Doch müssten die Schulen auch entsprechend ausgestattet sein. Manche Kinder mit Förderbedarf seien an einem Förderzentrum einfach besser aufgehoben, sagt Weinhuber. Das hänge jedoch immer vomr Einzelfall ab. Eltern sollten sich auf jeden Fall gut beraten lassen. Für Eltern aus Geretsried sei die dortige Förderschule eine Option. Wer aber in Kochel am See wohne, wo es an der Grundschule kleine Klassen gebe, müsse abwägen, ob er sein Kind an das Förderzentrum nach Bad Tölz schicken wolle.

An der Franz-Marc-Schule sind die Schülerzahlen nach Angaben von Kruis in diesem Schuljahr im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent zurückgegangen. Für das kommende Schuljahr gebe es bisher nur zwei Anmeldungen. Das könne auch eine Folge der derzeitigen Inklusionsbestrebungen sein, sagtKruis.

© SZ vom 18.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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