Filmfestival:Das menschliche Maß

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Authentische Filme können Lebenshilfe sein. Sie machen die Welt,

Von Matthias Helwig

Der 27. Juli 2017. Zuerst nur ein vor einem Jahr entworfenes Datum, dann der Beginn eines Spielplanes von zehn Festivaltagen und plötzlich, nachdem die Tage immer schneller zu vergehen schienen, ein realer Tag mit Frühstück, hoffentlich Sommerwetter und letzten Vorbereitungen. Ein Jahr ist seit dem letzten Festival vergangen - ein Jahr, in dem sich gezeigt hat, dass wieder das Geld nicht gereicht hat und das Kino Breitwand die Verluste wett machen musste. Ein Jahr, in dem das Team einigen Wandlungen unterworfen war, sich aber neue MitarbeiterInnen gefunden haben, die genauso engagiert wie Konstantin Fritz, Barbara Kontae, Veronika Osterauer, Katharina Püchler, Julia Schönwetter oder Barbara Winkler an der Verwirklichung einer an sich verrückten Idee gearbeitet haben: ein renommiertes Filmfestival in einer wunderschönen Gegend zu etablieren.

Ihnen allen gilt immer mein erster Gedanke und vor allem mein großer Dank, wenn ich über das Festival etwas sagen soll. Sie alle haben an dem Programm gefeilt, haben Filme gesucht, dabei gelacht und geweint, waren betroffen und glücklich, haben Produzenten und Filmschaffende kontaktiert und dabei immer an unser Publikum gedacht. Wie können wir es begeistern, wie können wir es auf all die filmischen Reisen mitnehmen, wie können wir es anregen und mit Bildern und Geschichten beglücken, die einen stumm und staunend zur Leinwand emporblicken lassen? So sind diese zehn Tage pures Kino, dieses 11. Fünfseen-Filmfestival, entstanden.

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(Foto: Arlet Ulfers)

Der Kinomarathon lockt mit Freiluft-Vorstellungen.

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Auch eine Dampferfahrt gehört zum Festival.

Und nun ist der Tag der Eröffnung des 11. Fünfseen-Filmfestivals plötzlich Realität. Alltag. Gehen wir ins Kino, heißt es, und schauen wir uns Filme an. Junge Regisseure bestechen mit ihren ersten oder zweiten Filmen durch ihren erfrischenden und tief gehenden Blick auf die Geschehnisse dieser Welt. Noch nicht in Deutschland gesehene Dokumentationen zeugen von der Leidenschaft, in dieser Wohlfühlgesellschaft die Hintergründe zu beleuchten und Lösungen aufzuzeigen. Diese Avantgarde der Filmschaffenden steht paritätisch neben so arrivierten Künstlern wie Oscar-Preisträger István Szabó, den wir dieses Jahr begrüßen dürfen. Ihnen allen gemein ist der künstlerische Blick auf die jeweilige Welt - in einer solchen Vielzahl und Reichhaltigkeit während der zehn Festivaltage, dass wir viel davon in unsere eigene Gegenwart und Zukunft mitnehmen können. Wir können sie dort gut gebrauchen, denn die Welt ist, wie es so schön heißt, unsicherer oder unberechenbarer geworden.

Unser Ehrengast István Szabó spricht von der vielleicht größeren Gefahr der Selbstzensur in der heutigen Welt im Vergleich zur Zensur in diktatorischen Staaten, ohne diese schmälern zu wollen. Das ist das Thema unseres Festivals. Wie entscheiden wir uns? Welche Kriterien legen wir an, im speziellen Fall als Kinomacher, Fernsehredakteur, Förderer, Autor oder Regisseur, oder noch allgemeiner, in dem Teil des Lebens, den man gewählt hat oder an den man hingekommen ist - wie entscheiden wir uns in der Auswahl unseres Handelns? Immer wieder sind es im künstlerischen Bereich die Fragen nach dem vermeintlichen Geschmack der anderen und dem eigenen. Nach dem finanziellen Auskommen. Oder dem Zeitgeist. Und immer wieder daran anschließend das Suchen nach dem eigenen, wirklichen Wollen, das man philosophisch oder psychologisch weitläufig hinterfragen könnte.

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(Foto: Catherina Hess)

Eva Mattes ist eine der Ehrengäste am Festival.

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Ebenso István Szábo.

Kari Matchett kommt zur Eröffnung des Kinomarathons.

Es gibt ein menschliches Maß. Dieses steht über der Wirtschaftlichkeit oder der Funktionalität. Manchmal verlieren wir es aus den Augen, auch filmisch. Dann werden die Bilder und Geschichten platt und austauschbar. Das kann nicht die Welt sein, zu der wir uns hinbewegen. Das Fünfseen-Filmfestival soll immer wieder in seinen Filmen und Gesprächen Anregungen zu Möglichkeiten im Leben bieten oder auch einfach nur dadurch Selbstvertrauen fördern, dass man durch die gesehenen Filme spürt, dass man mit seinem Leben nicht alleine ist.

Wenn ein Film authentisch ist, dann erzählt er uns von all dem, was auch uns in der jeweiligen Lebenssituation angeht. Er kann uns im Erwachsenwerden begleiten oder in der Familiengründung, in der Suche nach dem richtigen Partner oder im Aufbau einer Familie, er kann uns in der Einsamkeit helfen und er kann uns das Glück geben, das sich - oft unbeachtet - in einer Kleinigkeit finden lässt. Filme wie "Heartstone", "Sami Blood", "Sette Giorni", "Requiem für Mrs. J", "King of the Belgians", "The Fixer", "Porto", "God's own country" oder der Eröffnungsfilm "Maudie" gehören hier dazu. Das Fünfseen-Filmfestival stellt dadurch für alle seine Besucher eine Möglichkeit dar, die bekannten Wege zu verlassen, übertragen gesehen in einen See zu springen oder auf einem Steg nach einer Anregung zu angeln. Kultur − und hier im besonderen die Filmkunst - kann die Welt nur besser und bunter machen. Nehmen Sie sie wahr!

Matthias Hellwig ist Gründer und künstlerischer Leiter des Fünfseen-Filmfestivals. Der 57-Jährige lebt in Gilching.

© SZ vom 28.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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