Europawahl im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen:Geschlossene Gemeinschaft

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Max lebt seit vier Jahren im Landkreis, spricht gut Deutsch und spielt Fußball im Verein. Um seine Existenz in Europa muss der Senegalese trotzdem bangen.

Von "Nora Schumann

Max ist laut eigener Aussage 21 Jahre alt, trägt eine Baseballkappe und Baggy-Jeans und reicht zum Gespräch Schwarztee mit Nelken. Er selbst trinkt aber nichts - schließlich fastet er im Ramadan. Max, der in Wirklichkeit anders heißt, erzählt vom Fußballtraining, das anstrengend war, mit einem breiten Lächeln. Die erschreckende Geschichte, die er kurze Zeit später erzählen wird, sieht man ihm nicht an. Sein Gesicht wirkt sehr jung, an einer Diskothek müsste er vermutlich den Ausweis zeigen. "In dem Ausweis steht aber 1993 als Geburtsdatum", sagt Max und sieht plötzlich ernst aus. "Ich bin damals mit vielen anderen Leuten zur Polizei gegangen und sie haben für alle das gleiche Datum, 1993, geschrieben. Ich wollte das ändern, aber ich habe keine Urkunde." Eigentlich sei er 1998 geboren. "Ich bin alleine hergekommen", sagt Max.

Er wird sehr still, bevor er zu erzählen beginnt. Bis zur 11. Klasse sei er zur Schule gegangen, ins Internat. Seine Eltern seien nicht arm gewesen. "Ich hatte ein gutes Leben, ich hätte niemals gedacht, dass ich mein Land verlasse." Max klingt erschöpft. Seine Mutter lebt nicht mehr, sagt er. Zu seinem Onkel im Senegal hält er sporadisch Kontakt. Über die Gründe seiner Flucht spricht Max nur widerstrebend und verzagt. Es ist für ihn ein merkbar sensibles Thema, das nicht an die Öffentlichkeit gehört. Max will in Deutschland bleiben. Seine Chancen dafür aber stehen schlecht, denn der Senegal gilt als sicheres Herkunftsland.

Trübe Aussichten: Weil sein Asylantrag abgelehnt wurde, darf Max nicht arbeiten. "Es tut verdammt weh, wenn man die ganze Zeit so sitzt", sagt er. (Foto: Nora Schumann)

"Alle EU-Mitgliedsländer teilen die Werte der EU: Sie streben eine Gesellschaft an, in der Inklusion, Toleranz, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität und Nichtdiskriminierung selbstverständlich sind. Diese Werte prägen unseren europäischen Lebensstil", heißt es auf der Internetseite der EU. Max wäre gerne Teil dieser Gesellschaft. Aber er ist nicht in Europa geboren. Er kommt ursprünglich aus dem Senegal und lebt seit knapp vier Jahren im Landkreis. Max spricht Deutsch auf hohem Niveau, nahezu fehlerfrei.

2013 beschloss er, sein Land zu verlassen. Er kam nach Mali, dann nach Burkina Faso, wo er in einem Restaurant arbeitete. "Ich spreche viele Sprachen, das hat mir geholfen", sagt er. Dann fuhr dann mit dem Auto durch die Wüste nach Niger. Nach zwei Monaten Arbeit dort ist er nach Libyen weitergereist, wo er ein Jahr und zwei Monate blieb. "Ich hatte eine gute Arbeit und für mich war es zuerst nicht so gefährlich", erzählt Max. Er arbeitete als Verkäufer in einem Geschäft. Zwar konnte er nicht so gut Arabisch, "aber Englisch und Französisch". Schließlich kam er nach Tripolis, wo er weitere sechs Monate gearbeitet hat. "Aber es gibt dort keine Sicherheit", sagt Max. "Und jeder macht was er will, jeder hat eine Waffe. Mitten in der Nacht sind sie in unsere Wohnung gekommen und haben unser Geld, unseren Fernseher, alles was wir hatten, mitgenommen und uns ins Gefängnis gebracht." Laut Max ist dieses Vorgehen in Libyen ein einträgliches Geschäftsmodell: Migranten würden ins Gefängnis geworfen, damit sie ihre Angehörigen informieren, um sich freikaufen zu lassen. Die libyschen Behörden gingen dabei davon aus, dass man bereits Verwandte in Europa habe, die genügend Geld hätten.

(Foto: N/A)

Max erzählt von einer kleinen Zelle, die er mit bis zu 15 Leuten teilte. Und von jugendlichen Gefängniswärtern mit Waffen, die ihm nicht glauben, dass er kein Geld hatte. "Ich wurde verrückt im Gefängnis", sagt er. "Die schlagen einfach so Leute jeden Tag". Er spricht leise. "Man hat keine andere Wahl und muss einfach ruhig bleiben und beten." Max blieb zwei Monate eingesperrt. Er hatte keine Verwandten - aber einen ägyptischen Chef, der sich für ihn einsetzte. "Mit ihm habe ich telefoniert und er hat für mich Geld bezahlt." Nach dem Gefängnis habe er es in Libyen nicht mehr ausgehalten und seinen Chef erneut um Geld für Bootsschlepper gebeten. "Ich brauchte unbedingt Hilfe. Ich wollte nicht mehr leben", sagt er. An der Küste hieß es, er dürfe nicht ins Boot, wegen seiner Knieverletzung, erzählt Max. "Ich sagte, entweder ich fahre oder ihr könnt mich hier erschießen. Für mich spielt das Leben jetzt keine Rolle". Er stieg ins Meer. "Ich bin zuvor noch nie so tief im Wasser gewesen, ich konnte nicht schwimmen." Ein Mann habe ihm geholfen, ins Boot zu steigen, mit circa 100 Insassen. Am dritten Tag auf See sei das Boot kaputt gegangen, sie hätten einen Notruf abgesetzt. Stundenlang trieb das Boot im Wasser. Zwei Menschen seien ins Wasser gefallen und ertrunken. "Ich dachte, dass für uns alles fertig ist - niemand überlebt." Schließlich aber kam die Seerettung und brachte die Schiffbrüchigen nach Italien, wo Max im Krankenhaus aufwachte und dann in ein Camp für Minderjährige kam. Dort sei er zwei Monate ohne Registrierung, ärztliche Betreuung oder Sprachunterricht geblieben. Max zeigt auf sein Bein. Er habe einen Unfall im Senegal gehabt und Probleme mit dem Knie. "In Libyen im Gefängnis haben sie mich oft auf das Knie geschlagen. Ich hatte sehr viele Schmerzen, aber die Tabletten haben nichts geholfen. Nach zwei Monaten im Camp habe ich gesagt, ich gehe in ein anderes Land, mir ist es egal, ich muss mein Knie behandeln". Eines Nachts verließ er das Lager und nahm den Bus Richtung Schweiz. Er habe zuvor weder etwas von der Schweiz gehört, noch etwas über Asyl gewusst. Erst in Deutschland habe er sich mit Fingerabdrücken registrieren müssen und sei nach einer Odyssee durch mehrere Unterkünfte schließlich vor vier Jahren im Landkreis gelandet. Für die medizinische Behandlung sei er sehr dankbar. "Ich hatte bereits meine dritte OP", sagt Max.

In Deutschland stellen sich für ihn plötzlich ganz andere Herausforderungen. Bei einer Anhörung im Bundesamt sei eine Dolmetscherin anwesend gewesen, aber er habe nicht gewagt zu erzählen, was ihm im Senegal widerfahren ist, sagt Max. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Erst nach drei Jahren habe er sich einer Betreuerin anvertraut. "Sie hat gesagt, wenn du das früher erzählt hättest, dann wärst du schon anerkannt", berichtet Max. "Ich hatte keinen Anwalt und ich hatte keine Ahnung was ich machen sollte." Mit abgelehntem Asylantrag befindet er sich in einer Sackgasse. Max hat sich große Mühe gegeben mit der gewünschten Integration. Er hat die Sprache gelernt, war von Anfang im Fußballverein aktiv. Er hat verschiedene Praktika durchlaufen, Spenglerei, Bäckerei, Pflegeheim. Alles unbezahlt und freiwillig. Alle Betriebe hätten ihn sofort übernommen, seine Chefs der Spenglerei und der Bäckerei seien mit ihm zum Landratsamt gegangen, um sich für eine Ausbildungserlaubnis einzusetzen, erzählt Max. All das habe nichts genutzt. "Viele Leute sagen mir, sie können eine Arbeit für mich finden. Aber das Problem ist die Genehmigung."

Die Leiterin des Pflegeheims, in dem er ein halbes Jahr lang Praktikant war, findet es "sehr schade", dass Max nicht mehr dort arbeitet. "Er war wirklich gut, sehr bemüht, sehr sensibel, besser als manch anderer", sagt sie. Auch sie möchte ihren Namen nicht nennen. Sie fürchtet, dafür belangt zu werden, wenn sie öffentlich über das Thema spricht. "Ich wurde angerufen und mir wurde gedroht", berichtet sie. "Man hat mir gesagt, ich mache mich mit der ehrenamtlichen Beschäftigung strafbar." Sie habe bei Behörden vorgesprochen und sei gegen Wände gelaufen. "Max wurden Steine in den Weg gelegt, wo es nur ging", sagt sie. "Das steht doch alles im Widerspruch. Wir brauchen an allen Ecken und Enden Leute." Max kann nichts tun, nur herumsitzen. "Die ganze Zeit sehe ich Leute, die gehen arbeiten, oder die gehen in die Schule und ich darf nicht", sagt er. "Manchmal bekomme ich in meinen Augen nur Tränen. Es tut verdammt weh, wenn man so die ganze Zeit sitzt, ohne etwas zu tun.

© SZ vom 24.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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