Bergwacht im Einsatz:Retter in Schneehosen

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Die Berghelfer kümmern sich am Brauneck nicht nur um kleine Skiunfälle. Sie müssen auch Verletzte mit dem Helikopter bergen oder Lawinen sprengen.

Von Birgit Lotze

Um Verletzte sicher und vor allem warm ins Tal zu bringen, verwenden Toni Erhard (links) und Sepp Bergmayr ein Ackja. (Foto: Birgit Lotze)

Eigentlich ist ein Ackja gar nicht so unbequem, wie er aussieht. In dem harten Wannenschlitten liegt man weich in einem Wärmesack, und die Erschütterungen nimmt man nicht so wahr wie der Beobachter von außen, der von der Piste aus die Verletzten bedauert, wenn sie von der Bergwacht ins Tal zum Krankenwagen gebracht werden. Das liege am Vakuumbett, sagen die Bergretter vom Brauneck. Das stabilisiere.

Doch jetzt brauchen sie den Ackja nicht mehr. "Verdrehtes Knie am Ahorn", werden sie über Funk in ihrer Hütte an der Bergstation zum Einsatz aufgefordert. "Patientin kommt selbständig mit dem Lift hoch." Sepp Bergmayr, Bereitschaftsleiter der Bergwacht Lenggries, hat an diesem Tag am Brauneck Dienst. Er entscheidet eine Sekunde später, dass sein Kollege Tobias Stevens sie oben am Lift übernimmt, zur Bergstation begleitet und unten dem Rettungswagen übergibt. "Die Knieverletzung holen wir mit dem Quad."

Tobias Stevens, der sonst bei der Berufsfeuerwehr in München arbeitet, zieht seinen Rucksack auf und wirft das Quad an, eine Mischung aus Kleintraktor und Motorrad. Das gelbe Gefährt fräst sich wie ein Fremdkörper über den steilen Hügel von der Hütte zum Skihang hoch. Weit ist es nicht. Der Einsatz ist ein Idealfall für die Bergwachtler. Die meisten Bergrettungen dauern - auch wegen des zerklüfteten Geländes am Brauneck - eineinhalb bis zwei Stunden. Für viele, gerade hier im oberen Gebiet, muss man auch einen Hubschrauber holen, schon weil die Gondeln der Bergbahn zu klein sind, um Schwerverletzte liegend nach unten zu bringen. "Aber diesmal müssen wir uns nur überlegen, wie wir die Patientin die Treppe zur Bergbahn hochkriegen", sagt Stevens.

Zu ihren Einsätzen fahren die Bergretter unter anderem mit einem Schneefahrzeug. (Foto: Birgit Lotze)

Der Sessellift fährt das Tempo herunter, die junge Frau mit der Knieverletzung kommt an und lässt sich heraushelfen. Stevens untersucht am Quad ihr Knie. Sie lacht schon wieder, als er ihr mitteilt, dass es nicht so schlimm ist. Trotzdem ist sie ein Fall für den Notarzt und wird mit der Bergbahn nach unten gebracht.

"Je besser der Schnee, desto weniger Unfälle gibt es", hat Bergretter Toni Erhard, ein Gaißacher, schon am Morgen gesagt. Heute ist so ein Tag. Der Schnee ist firnig, körnig, die Vormittagssonne hat die Oberfläche leicht aufgeweicht. Skifahrer und Snowboarder mögen das. Doch Bergwachtler sind nicht zum Vergnügen hier und ziehen sich, sofern sie nicht noch auf der Piste zu einem anderen Unfall gerufen werden, nach dem Einsatz in ihre Hütte an den Funk zurück. Hexe und Cora, die zwei Schäferhunde, die für die Rettung von Menschen aus Lawinen ausgebildet werden, begrüßen jeden einzeln. Sie sind nicht mal zwei Jahre alt und am Spielen interessiert. Hexe war mit ihrem Hundeführer und Herrchen Rolf Frasch schon kurz nach Sonnenaufgang im Zirkuskessel unterwegs. Am Abend vorher hatte Frasch einen Rucksack dort in einem alten Lawinenfeld versteckt, den musste sie möglichst schnell finden. Training für den Ernstfall.

Rolf Frasch ist Bergwachtler und Frühbeobachter, einer von fünf im bayerischen Raum, die Daten an den Lawinenwarndienst weitergeben. Täglich um sechs Uhr morgens schaut er den Himmel an, misst die Lufttemperatur und beobachtet die Schneelage. Dafür stapft er hinter der Hütte rund zwanzig Schritte im Tiefschnee den Garland hinunter. Dort ist auf einer kleinen Lichtung eine Messstation aufgebaut. In einer gelben Kiste sammelt sich Schnee. An ihr liest Rolf Frasch ab, wie viel Neuschnee in der Nacht gefallen ist. Er lässt die Raumsonde locker in den Schnee fallen und bestimmt die Dichte der Schneedecke. Die Schneebeschaffenheit erkennt er, indem er den Schnee locker durch die halb geschlossene Hand schüttelt. An manchen Tagen, wenn gesprengt wurde, gibt er auch eine Einschätzung zu den Sprengergebnissen ab. Das Wegsprengen von Schneeanhäufungen, die eine Lawine verursachen können, ist Sache der Bergbahn. Ob eine Sprengung erfolgreich war, wie sie überhaupt verlaufen ist, das beurteilt auch die Bergwacht.

Die Bergwacht Lenggries arbeitet eng mit der Bergbahn zusammen. Neben der Rettungsleitstelle in Weilheim sind es vor allem die Bahnangestellten, die die Bergwacht informieren, wenn sich ein Skifahrer auf der Piste verletzt hat. Die Bergwacht wiederum macht die Bergbahn aufmerksam, wenn etwas mit der Piste nicht in Ordnung ist. Sie seien zuständig für "atypische Gefahrenpunkte auf der Piste", sagt Bergwachtchef Sepp Bergmayr. Für alles also, was der Skifahrer nicht erwartet und sofort wahrnehmen kann: Wasserunterspülungen, Steine, ungepolsterte Schneekanonen und eben Hänge, an denen Lawinenabgänge drohen. Toni Erhard hat diese Aufgabe heute erledigt, ist am Morgen mit einer der ersten Gondeln hoch- und die Pisten abgefahren. "Passt alles", meint er abschließend über Funk zur Bergbahn. Er hat es nicht anders erwartet. Die Brauneck-Bergbahn sei selbst stark an dem Pistenzustand interessiert, sagt er. Sie wartet offenbar nicht auf das Urteil der Bergwächter, sondern schickt ihre Mitarbeiter gleich selbst auf Ski die Pisten hinunter.

Lawinenhund Hexe hat an diesem Tag keinen Einsatz: Herrchen Rolf Frasch trainiert mit ihr, wie sie Verschüttete findet. (Foto: Birgit Lotze)

Der Rückzugsort ist die Bergwachthütte, die rund 40 Quadratmeter groß ist. Eigentlich ist alles in dem einen Raum vorhanden - sogar eine Fußbodenheizung. Man kann kochen, es gibt einen Kamin, den Schreibtisch mit dem Funkgerät. In der anderen Raumhälfte sind die Rucksäcke und die Schränke untergebracht, in denen das Verbandsmaterial und andere Sachen für die Rettungen lagern. Toni Erhard wärmt inzwischen sein Mittagessen auf. Tobias Stevens installiert ein neues Netzgerät für den Funk, Rolf Frasch ruft im Internet andere Messstationen auf und füllt Einsatzberichtslisten aus. Überbrücken der Zeit bis zum nächsten Ruf. Bergmayr ist noch draußen, er hat Vorsorgedienst beim Skirennen der Schulen, das unten am Weltcuphang stattfindet. Meist sind die Bergwachtler einzeln im Einsatz. Das spart Personal.

Am Wochenende und an Fasching werden sich wieder doppelt so viele Leute in dieser Hütte aufhalten. Und auch die andere Hütte der Bergwacht am Latschenkopf am hinteren Brauneck wird dann besetzt sein - auch von Münchner und Wolfratshauser Bergrettern, die die Lenggrieser am hinteren Brauneck unterstützen. Es sind, wie an diesem Tag, fast ausschließlich Männer. An Frauen erinnert nur die zweite Toilette in der Hütte. Frauen, glaubt Bergmayr, der inzwischen wieder in der Hütte ist, hätten immer das Gefühl, ihnen laufe die Zeit davon. Sie würden nach einigen Jahren wieder gehen, meist sehr jung und ins Ausland oder weit weg zum Studieren. Männer würden auch an die Karriere denken, aber sie gingen lockerer mit ihrer Zeit um. Vor allem im Sommer gebe es wenig Einsätze. "So den ganzen Tag auf der Station hocken und du weißt oft gar nicht warum, das liegt Frauen vielleicht nicht so."

Da meldet sich der Funk wieder. Ein Junge hat sich beim Rodeln verletzt, eine Schnittwunde. Bergmayr geht selbst. Auf Ski fährt er hinter der Reiser Alm auf die Rodelspur, über die Terrasse, am gestapelten Holz vorbei den Waldweg hinunter. Wie stark die Verletzung ist, weiß er noch nicht. Das müsste der Bergretter in Erfahrung bringen - doch unter dem Rollengerüst an der Liftstütze ist kein Junge. Der Einsatzleiter sucht mit den Augen die Waldhänge ab. Er hat mit seinem Funkgerät keinen Empfang und ruft bei der Leitstelle über Handy an. Die Mutter soll den Jungen hinuntergebracht haben, heißt es. Er fährt weiter. Unten am Parkplatz steht der Rettungswagen. Der Junge sitzt schon drin. "Da ist es schön warm. Die Untersuchung läuft. Für mich ist der Fall damit erledigt", sagt Bergmayr.

Am schönsten ist die Abfahrt am Ende des Tages. Freie Piste, ganz allein. Wer bei der Bergwacht arbeitet, verlässt das Brauneck als Letzter. Pistenkontrolle. Toni Erhard macht sie heute. Allerdings ist noch jemand auf dem Berg. Die Hütte ist nicht leer. Rolf Frasch und Hexe bleiben. Insgesamt vier Monate wohnen sie hier im Winter. Sie müssen noch ins Lawinengeröll. Hexe hat noch zu tun. Heute morgen hat Frasch eine Jacke vergraben und eine Wärmflasche dazugepackt. Er meint, so breite sich der Geruch noch besser aus.

© SZ vom 06.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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