Bergtipps aus Tölz:Zu Fuß durch die Märchenwelt

Lesezeit: 4 min

In einem neuen Wanderbuch vereint Ursula Weber ihre Freude am Laufen und die Kunst des Erzählens

Von Benjamin Engel

Auf den Gipfel der Sonntratn bei Gaißach ist Ursula Weber schon an die 30 Mal gestiegen. Für die Tölzerin ist die Wanderung auf den knapp 1100 Meter hohen Berg ihr "Erholungsquickie", wie sie selbst salopp sagt. Denn hinauf braucht sie nur etwa eine Stunde. Das reicht für eine schnelle Runde morgens oder abends, selbst wenn sie viel arbeiten muss - und das dank der sonnigen Südhänge beim Aufstieg fast zu jeder Jahreszeit. Üppig blühen im Frühling die Buschwindröschen, Osterglocken und weitere Wiesenblumen entlang des Wegs. "Die Schönheit der Natur fasziniert mich", erzählt Weber. "Das ist eine Tour, die mir Kraft gibt."

Vor allem eine mächtige Linde beeindruckt die Tölzerin, die als freiberufliche Geschichtenerzählerin und Rednerin bei Trauungen arbeitet. Der Baum ist am Stammfuß halbrund ausgehöhlt. Dagegen kann sich der Wanderer wie in einem Ohrensessel lehnen.

Als Weber darauf stieß, musste sie sofort an das Märchen vom Zauberknopf denken. In dieser Geschichte von Heinrich Spoerl lehnt ein junger Mann ebenfalls an einer Linde und wartet sehnsüchtig auf seine Liebste. Eine Elfe verhilft ihm zu einem Zauberknopf an der Jacke. Dreht er diesen nach rechts, kann er die Zeit vorwärts laufen lassen. Das macht er. Er erlebt seine Heirat und die Geburt der Kinder in wenigen Augenblicken und findet sich schließlich auf dem Sterbebett wieder. Flugs dreht er den Knopf in die entgegengesetzte Richtung. Er wacht auf und sieht, dass er nur geträumt hat.

"Unter der Linde spürt man die Kraft des Augenblicks", schildert Weber. Für das Glück des Moments dankbar zu sein, würden allerdings viele vergessen. Als Geschichtenerzählerin interessiert die gebürtige Oberfränkin genau diese Metaebene an den Sagen. Weil sie selbst gerne durch die Natur streift, hat sie ihre Freude am Wandern und die Kunst des Erzählens zusammengebracht. Heuer hat sie das Buch "Wandern auf märchenhaften Pfaden" veröffentlicht. Darin beschreibt sie 15 Touren der Voralpenregion zwischen dem Werdenfelser Land und dem Wendelstein. Zu jeder Wanderung hat sie passende Geschichten gesucht - insgesamt 30 an der Zahl. Dort steht auch das Märchen vom Zauberknopf und der Aufstieg zum Sonntratn.

Auch auf dem Tölzer Kreuzweg war Weber schon unterwegs. (Foto: Privat)

Mit Hilfe des Buches sollen die Leser zur Ruhe kommen können und Entschleunigung erfahren, wie Weber sagt. "Ich suche nach verwunschenen Pfaden, um die Alltagssorgen hinter mir zu lassen." Gerade in der heutigen, immer digitaleren Welt brauchen die Menschen ihrer Ansicht nach mehr Erdung.

Für das im Volk-Verlag erschienene Buch hat sich Weber ganz bewusst auf 15 Touren beschränkt. Denn jeder sollte es bequem auf Wanderung mitnehmen können. Es sollte eine Lektüre für unterwegs sein.

In Sagenbüchern hat Weber die Geschichten für die Touren zu faszinierenden Orten in der Region gefunden. Im Landkreis führt sie den Leser durch das Loisach-Kochelsee-Moor, rund um den Tölzer Kalvarienberg und Ellbach oder auf das Stallauer Eck bei Bad Heilbrunn. Zur Tour auf den Altlacher Hochkopf erzählt Weber von einer der Lieblingshütten Ludwigs II. und vom gruseligen Walchensee-Waller.

Heiter bis berührend sind die Geschichten und Märchen zu den Wanderungen. Und manchmal schaurig-schön so wie bei der Tour durch den Teufelsgraben. Dieses Tal zieht sich vom Kirchsee bei Sachsenkam etwas mehr als 23 Kilometer lang bis ans Mangfallknie. Einer Sage nach wollte der Teufel den frömmelnden Münchnern das Wasser abgraben. Dafür wollte er die Isar zur Mangfall umleiten. Mit Hilfe von üblen Geistern und Höllengestalten wühlte er sich nachts tief durch das Erdreich im Oberland. Ein Mesner aus Otterfing soll gewettet haben, dass der Teufel das nicht vor dem Läuten der Morgenglocke schaffen werde. Der Kirchenmann drehte aber die Kirchturmuhr vor. Deshalb schlugen die Glocken früher, die Hähne krähten und der Teufel konnte sein Werk nicht vollenden. So soll der heute noch unter seinem Namen bekannte Graben entstanden sein.

Während des International Storytelling Festivals in Österreich - einem der größten Erzählkunstfestivals weltweit - entstand 2018 die Idee für das Buch. Vor 550 Kindern im Grazer Schauspielhaus erzählte Weber etwa eine bayerische Geschichte. Dort spürte sie, wie aufmerksam die Zuhörer reagierten. "Mir ist bewusst geworden, wie sehr Geschichten berühren können", sagt sie. "Es wäre schade gewesen, die Sagen und Märchen wieder unter den Buchdeckeln verschwinden zu lassen."

Bei ihren Wanderungen fallen Ursula Weber viele Geschichten ein. (Foto: Privat)

Grafiken mit dem Tourenverlauf und Symbole für besondere Stellen auf der Wanderung ergänzen die genauen Tourenbeschreibungen. Ein Dreivierteljahr hat Weber für ihr Buch recherchiert. Entscheidend war für sie, Wanderungen für jede Jahreszeit zu finden. Zudem sollten es möglichst verwunschene Wege sein, weswegen Touren mit Asphaltabschnitten sofort ausschieden. So habe sie viele Ideen und Geschichten für viele weitere Touren gesammelt, wie sie sagt. Zwei zusätzliche Wanderbücher auf märchenhaften Pfaden seien bereits geplant.

Geschichten zu erzählen, liegt der fröhlichen Frau. Doch Weber kann sich erinnern, dass es ihre Bekannten für verrückt hielten, als sie daraus einen Beruf machen wollte. Vor sieben Jahren habe sie aber den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Bis dahin hatte Weber 15 Jahre als evangelische Religionspädagogin im Kirchendienst gearbeitet. Sie hatte Kinder unterrichtet, die schon damals begeistert waren, wenn sie erzählte. In der Kirchengemeinde Schäftlarn hielt sie Predigten und Gottesdienste. "Das Wort hat mich begleitet", sagt sie. Im Leben habe sie nie große Pläne gemacht. Vieles habe sich einfach ergeben.

So soll es den Wanderern auch auf den Touren im Buch gehen. "Es lädt dazu ein, sich auf kleine Abenteuer einzulassen, ob eine Biberburg, Wasserrauschen oder Milane, die über einem kreisen", wünscht sich Weber. Für Alpinisten, die möglichst viele Gipfel auf einmal stürmen wollten sei das Buch ungeeignet. Es gehe darum den Tag in der Natur zu genießen und sich zu erholen. Auf diese Weise entwickelten die Menschen womöglich auch mehr Verständnis für den umweltbewussten Umgang mit der Natur, so Weber.

Ursula Weber, Wandern auf märchenhaften Pfaden, erschienen im Volk-Verlag, ISBN: 978-3-86222-309-1

© SZ vom 07.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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