"Tölzer Veg":Mehr als nur Gemüse

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Am Montag beginnt der fünfte "Tölzer Veg". Veganer aus dem Landkreis berichten, warum sie diese Art der Ernährung gewählt haben - und was sich in ihrem Kühlschrank alles findet

Von Melanie Kraus, Bad Tölz-Wolfratshausen

Herrscht im Kühlschrank eines Veganers gähnende Leere? Keine Wurst, kein Käse, keine Milch, keine Eier. Was bleibt da schon? Eine ganze Menge, wie man bei Barbara Unterberger sehen kann. Rhabarber, Sojajoghurt, Bulgursalat, Antipasti in Gläsern, Algensalat, vegane Brotaufstriche sowie jede Menge Gemüse und Salat habe sie gerade im Kühlschrank, sagt sie. "Ganz oben Fertigprodukte. Mir fällt gerade auf, dass es ganz schön viele sind." Seit zweieinhalb Jahren verzichtet die Webdesignerin, die einen "Vegan Food Blog" schreibt, auf tierische Produkte. Und gehört damit zur Zielgruppe des "Tölzer Veg" mit einem vierwöchigen Programm zu veganer Ernährung und gesunder Lebensweise, der an diesem Montag beginnt.

Der Tölzer Veg findet heuer bereits zum fünften Mal statt. Dabei steht die Stadt im Zeichen von Fitness, Gesundheit und veganer Ernährung: Restaurants und Hotels ergänzen ihre Speisekarten um Gerichte, die frei von tierischen Erzeugnissen sind, das Rahmenprogramm bietet vielfältige Informationen rund um die Ernährungsweise, ergänzt mit Sport- und Entspannungsangeboten. Doch was bleibt übrig, wenn die Tage rund um den Trend vorbei sind?

Der vegane Kühlschrank und sein Inhalt zum Beispiel. Barbara Unterberger schreibt in ihrem Blog, der den Titel "Kleinstadthippie" trägt, über das vegane Kochen, zeigt Fotos ihrer selbst kreierten Gerichte und erzählt von ihrem Weg in das Leben fernab von tierischen Erzeugnissen. Nach knapp zwei Jahren zählt der Blog rund 7000 Follower auf Facebook, Instagram, Twitter und Co. Das zeige, dass das Interesse der Bevölkerung da sei, sagt die 54-Jährige. Sie selbst fand den Einstieg ins vegane Leben durch den Vorschlag ihres Sohnes, während der Fastenzeit vegetarisch zu leben, erzählt sie. Im Folgejahr wagte sich die Familie für 40 Tage an die vegane Ernährung - und blieb dabei.

"Der Alltag ohne tierische Produkte ist am Anfang relativ kompliziert gewesen", sagt Unterberger, "unter anderem, weil man nicht recht weiß, was man kaufen kann." Besonders bei Weinen habe sie gestaunt, da die alkoholischen Getränke oftmals eben nicht vegan seien, da sie während der Herstellung durch Fischblasen oder Gelatine geklärt würden. Davon sei natürlich später nichts mehr im fertigen Wein, gleichwohl würden die tierischen Erzeugnisse bei der Produktion verwendet, erklärt Unterberger. Wenn sie sich an ihren ersten Einkauf erinnert, klingt das wie folgt: "Ich bin damals mit einem Kochbuch losgezogen, um mir den dort beschriebenen Grundstock an Lebensmitteln zu besorgen und dabei recht schnell frustriert gewesen", erzählt sie. Nicht nur sei der Einkauf sehr teuer gewesen. Sie habe außerdem noch andere Lebensmittel zu Hause gehabt, die sie nicht einfach habe wegwerfen können und wollen. Es sei besser, nach Rezept einzukaufen und die heimischen Vorräte sukzessive zu ersetzen.

Mittlerweile weiß die Wolfratshauserin, wie sie beispielsweise Milch oder Eier in der alltäglichen Küche ersetzen kann: Mandelmus mit Wasser gemischt erinnere in Konsistenz und Geschmack sehr an Sahne, Eier könne man je nach Gericht durch Eiersatzpulver, aber auch durch Apfelsaft, Sojamehl oder Leinsamen ersetzen. Auch habe sich bei ihr nun die Routine eingeschliffen, auf der Rückseite der Produkte die Inhaltsstoffe nachzulesen, damit sie wisse, was sie essen könne und was nicht. Beim gesundheitlichen Aspekt ist Unterberger pragmatisch: "Man kann sich in jeder Ernährungsform ungesund ernähren." Wichtig sei es, den Eisen-, Eiweiß- und Vitamin B12-Haushalt des Körpers im Auge zu behalten. Besonders letzteres komme nur in tierischen Produkten vor und müsse durch Nahrungsergänzungsmittel oder spezielle Zahnpasta von außen zugeführt werden.

Mit dem gastronomischen Angebot im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen ist Unterberger zufrieden: "Auf Anfrage habe ich noch immer vegane Gerichte erhalten, da sind die Wirte sehr offen und flexibel", sagt sie. Wenn man selber unkompliziert sei, könne man sich gut in die omnivore, also alles verzehrende, Gesellschaft einfügen.

Dass Veganismus "langsam in der Bevölkerung angekommen ist", sieht auch Katharina Meixner so. Die junge Frau lebt seit vielen Jahren vegan und ist die Gründerin der Regionalgruppe Bad Tölz-Wolfratshausen des Vegetarierbunds VeBu. Die Verfügbarkeit entsprechender Produkte sei besser geworden, ebenso deren Deklaration. Allerdings stelle sie fest, dass "man nicht merkt, dass nach dem "Tölzer Veg" wirklich etwas zurückbleibe. Alternativangebote für Veganer seien in der Region eher spärlich gesät, besonders was Restaurants betreffe. Zwar sei die Tendenz zur Offenheit der Gastronomen gegenüber der Lebensweise bemerkbar, ihre persönlichen Erfahrungen seien aber eher gemischt, sagt Meixner. Das Konzept der Ernährung sei vielen noch unklar - sie glaubten, veganes Essen bestehe nur aus gekochtem Gemüse. Dabei stehen beispielsweise auch Tofu, Quinoa, Hülsenfrüchte und Nüsse auf der Liste veganer Zutaten.

Die Regionalgruppe des VeBu besteht seit knapp einem Jahr und zählt einen "harten Kern" von zehn Leuten. Entstanden ist die Gruppe, weil Meixner etwas bewegen und Gleichgesinnte treffen wollte, sagt sie. "Die Gruppe ist gleich sehr gut angekommen, was auch auf ihre Notwendigkeit hindeuten mag", sagt sie. Neben monatlichen Treffen zum Stammtisch, zu denen die Mitglieder auch aus Peißenberg, Schongau oder Murnau anreisen, ist die Gruppe ab und zu mit Infoständen in der Tölzer Fußgängerzone präsent. Gerade entwickeln sie ein Schulkonzept, um Schüler im Landkreis über die vegane Lebensweise zu informieren. Meixner selbst pflegt den Lebensstil aus Überzeugung. Dass vegane Ernährung nicht automatisch bedeute, sich gesünder zu ernähren, gibt auch sie zu bedenken. Dazu gehöre mehr, als alles Tierische wegzulassen, die Ernährung müsse ausgewogen bleiben. Der momentane Hype um die vegane Lebenseinstellung helfe sicher, diese besser zu etablieren. "Allerdings bleibt die Notwendigkeit bestehen, zu hinterfragen, was man tut", sagt Meixner.

Wer in Bad Tölz auf der Suche nach vegetarischer und veganer Küche ist, findet bei Carsten Büchner eine Adresse. Der gelernte Koch ist seit etwa 25 Jahren Veganer und versorgt das Bio-Bistro des Alpenbiomarkts mit seinen Gerichten. "Auf die Idee, sich vegan auszurichten, kam Büchner lange vor dem Trend", erklärt der Geschäftsführer des Biomarkts, Andreas Wegler. Durch seine Reisen in alle Welt hätten sich die Lebensweise und die kulinarische Ausrichtung langsam entwickelt, sagt Wegler. Auf Skepsis in den eigenen Reihen treffe der Küchenchef nicht - vegane Köche seien 'in'. "Es sicher besser, eine solide Ausbildung mit entsprechender Erfahrung zu haben, denn Veganes schmackhaft zu kochen ist ein Lernprozess."

Bei der Planung des Alpenbiomarkts habe man das Bio-Bistro und den veganen und vegetarischen Mittagstisches mit geplant, sagt der Geschäftsführer. "Die Gerichte werden - nach anfänglicher Skepsis weniger Kunden - von fast allen gerne angenommen." Seit der Eröffnung vor sechs Jahren bemerkt Wegler im Bio-Bistro ständigen Zuwachs. Vegane Biolebensmittel würden seit zwei bis drei Jahren vermehrt gekauft, auch der Wunsch nach regionalen Produkten sei gestiegen. "Vegan wird in einigen Jahren, gerade durch den Aspekt des Tierwohls, noch mehr nachgefragt werden. Wobei wohl nicht jeder zum Veganer werden wird", sagt der Geschäftsführer. Veganismus sei ein Trend, der stetig wachse. Allerdings werde in Deutschland und speziell in Bayern weiterhin gerne Fleisch und Wurst gegessen - auch aus Massentierhaltung. Informationen des Vegetarier-Bunds zufolge ernähren sich in Deutschland 7,8 Millionen Menschen vegetarisch und rund eine Million Menschen vegan - immerhin ungefähr zehn Prozent.

© SZ vom 24.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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