Bad Tölz:Stimmungsmache unterm Kirchturm

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Eine lärmgeplagte Anwohnerin fragte an, ob die Glocken der "Heiligen Familie" nachts abgestellt werden könnten. Die Kirche zeigte sich gesprächsbereit und rief prompt Kritiker auf den Plan, die anonym Faltblätter verteilen und von Traditionsbruch sprechen.

Suse Bucher-Pinell

Seit die Kirche "Heilige Familie" in der Karwendelsiedlung vor 50 Jahren eingeweiht worden ist, schlägt die Glocke zu jeder Viertelstunde, zur vollen Stunde kündet sie die Uhrzeit. Heidi Harbeck-Janßen kennt das so von Kind an, sie ist wenige Straßen weiter aufgewachsen. Seit der Pfarrgemeinderat über ihre Anfrage diskutierte, ob der Stundenschlag in der Nacht zwischen 22 Uhr und 6 Uhr abgestellt werden könnte, kochen die Emotionen hoch. Eine Diskussion um Tradition und Brauchtum ist entbrannt.

Kirche hl. Familie Bad Tölz Kirche Kirchturm hl. Familie Bad Tölz, Kardinal-Wendel.Platz, 02.03.2011, Foto: Manfred Neubauer (Foto: N/A)

Heidi Harbeck-Janßen ist mehr als überrascht von dem, was sie da losgetreten hat. Sie ist eine sensible Schläferin, die schon kleine Geräusche wieder hochschrecken lassen. "Seit 35 Jahren schlafe ich mit heruntergelassenen Rollläden, geschlossenem Fenster und Ohropax", erzählt sie. Nur während ihres Studiums in München hätte sie darauf verzichten können, und als sie eine Zeit lang im Tölzer Gewerbegebiet Farchet wohnte. Dennoch will sie nicht aus der Siedlung wegziehen. "Die Siedlung ist meine Heimat, ich liebe sie."

Nachdem sie mitbekommen hat, wie in Jachenau, in Gaißach oder auch in Arzbach der nächtliche Stundenschlag ohne Probleme abgeschaltet worden ist, wagte sie den Vorschlag für die "Heilige Familie". Denn auch in Tölz schlägt nicht jede Glocke in der Nacht, die Klosterkirche im Kurviertel beispielsweise beginnt erst mit dem Gebetläuten früh um sechs. "Ich habe Sachlichkeit erwartet", sagt sie und ihre Enttäuschung kann man in ihren Worten heraushören.

Eigentlich hätte Stadtpfarrer Rupert Frania die Frage gleich beantworten können. Der wollte aber lieber eine demokratische Entscheidung, der Antrag wurde im Pfarrgemeinderat diskutiert. Auch die Vorsitzende Johanna Öttl nimmt Wünsche und Sorgen der Gemeindemitglieder ernst, sie setzte das Thema auf die Tagesordnung und entfachte damit eine unerwartet heftige Diskussion.

Die Abstimmung endete mit einem Patt: Vier waren dafür, vier dagegen. Umso erstaunter war Johanna Öttl, als kurz danach anonyme Flugblätter um die Kirche aufgehängt wurden, in denen ihr vorgeworfen wurde, sie wolle Traditionen wegnehmen. "Nur weil ich in der Sitzung über den Antrag sprechen ließ", empört sie sich. "Es muss erlaubt sein, darüber zu diskutieren." Noch mehr ärgert sie sich, dass die Kritiker offenbar einiges durcheinander bringen. "Es ging immer nur um den Stundenschlag in der Nacht, vom Glockenläuten war nie die Rede."

Auch Heidi Harbeck-Janßen fühlt sich missverstanden. Sie ist besonders darüber enttäuscht, dass bisher mehr über sie als mit ihr geredet wird. "Ich bin noch von keinem Siedler angesprochen worden. Das ist für mich extrem bitter und nicht nachvollziehbar." Arg treffen sie Unterstellungen, sie sei eine Zugezogene. Dabei ist ihre Familie alteingesessen und steht der Kirche nahe. Davon, eine Tradition abschaffen zu wollen, sei sie weit entfernt.

Auch Pfarrer Frania zeigt kein Verständnis für die anonymen Kritiker und geißelt die Stimmungsmache mit deutlichen Worten als "hinterfotzig". "Diesen Streit braucht kein Mensch", sagt er und klärt darüber auf, dass der Stundenschlag überhaupt keine religiöse Bedeutung habe. Für jeden, dessen Schlaf dadurch gestört sei, hat er Verständnis. Er weiß, wovon er redet, sein Schlafzimmer liegt nur wenige Meter vom Kirchturm entfernt. Zum Glück schlafe er so gut, dass er manches Mal das Gebetläuten um 6 Uhr in der Früh überhöre. "Das ist aber halt nicht jedem gegeben."

Nun obliegt es der Kirchenverwaltung zu entscheiden. Das Gremium aus vier ehrenamtlich gewählten Mitgliedern plus Pfarrer Frania entscheidet über alle rechtlichen und finanziellen Fragen der Pfarrei. Und darunter fällt streng genommen auch der nächtliche Stundenschlag. Eine Umprogrammierung der Uhr kostet schließlich Geld, außerdem muss dann auch die Läuteordnung geändert werden. Extra eine Sitzung einzuberufen, hält Frania für übertrieben.

Die Kirchenverwaltung trifft sich demnächst sowieso, um über den Haushalt und die Jahresrechnung zu entscheiden. Und wenn dann der nächtliche Stundenschlag der "Heiligen Familie" auf der Tagesordnung steht, geht es möglicherweise auch gleich um den der Stadtpfarrkirche, die nach fünf Jahren Renovierung am 29. Mai feierlich eingeweiht wird. "Das müssen wir sicher besprechen", sagt Frania.

© SZ vom 05.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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