Bad Tölz:"Ein Restrisiko bleibt immer"

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Weil Pferde leicht erschrecken, lassen sich Unfälle bei der Leonhardifahrt nie ausschließen. Die Tölzer Verantwortlichen wollen nicht noch mehr Regeln. Denn die wären "der Tod" der Wallfahrt

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Am Tag nach dem schweren Unfall bei der Tölzer Leonhardifahrt dauern die Ermittlungen der Polizei an. Fest steht, dass ein Pferd im Gespann eines 43 Jahre alten Fuhrmanns aus Dietramszell am Donnerstag auf der schneebedeckten Wiese unterhalb der Kalvarienbergkirche plötzlich scheute. Daraufhin brachen alle vier Tiere aus, der Mann wurde vom Kutschbock geworfen, der Truhenwagen mit zwölf Schalkfrauen kippte um - zwei von ihnen erlitten dabei schwere Verletzungen. Warum das Tier so erschrak, ist noch nicht vollends geklärt. Der Grund sei aber "sehr wahrscheinlich", dass der Gespannführer einen Passanten angeschrien habe, er solle auf die Seite gehen, teilt der Leiter der Tölzer Polizeiinspektion, Bernhard Gigl, mit. Unmittelbar danach seien die Pferde durchgegangen.

Für Bürgermeister Josef Janker (CSU) ist dies eine Art von Unfall, die sich bei der Traditionswallfahrt kaum verhindern lässt. Ein Pferd sei nun mal ein Tier, das "nach seiner psychischen und physischen Konstitution erschrecken und panisch reagieren kann", sagt Janker. Das Sicherheitskonzept der Stadt sieht er dadurch keineswegs auf der Kippe - "absolut nicht". Darin sei ja alles genau festgelegt, vom Hundeverbot über die Fahrerprüfung bis hin zu den Abständen zwischen den einzelnen Tafel- und Truhenwagen, sagt er. Solche Vorschriften helfen freilich nichts, wenn ein Pferd scheut. "Trotz allen Planens und Überlegens und Regelns und Vorausschauens passiert das."

Kurz nach dem Unfall: Das Unterteil des Wagens liegt umgestürzt auf der Wiese, die aufgeregten Pferde werden beruhigt. (Foto: Michaela Rehle/Reuters)

Der Unfall wirft dennoch Fragen auf, zum Beispiel, ob eine Pferdewallfahrt auf schneebedecktem Boden nicht zu gefährlich sei. Klaus Pelikan, der bei der Stadt für die Leonhardifahrt verantwortlich ist, räumt ein, dass ihm die weiche Wiese auf dem Kalvarienberg "nicht besonders gut gefallen" habe. Allerdings sei dies kein Grund für eine Absage gewesen. "Das war keine echte Schneelage, das war nasser Matsch. Das war nicht das Problem." Über den Unfall will die Stadt in der obligatorischen Nachbesprechung nochmals mit Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten reden, zudem möchte sie in den nächsten Tagen mit dem Fuhrmann aus Dietramszell über den Hergang sprechen. Danach werde man "überlegen, ob es daraus Konsequenzen geben wird", sagt Pelikan.

Über die Wetterlage diskutieren Vertreter der Stadt und der Sicherheitskräfte vor jeder Leonhardifahrt. Eine Absage käme laut Janker allenfalls dann in Betracht, wenn eine geschlossene Schneedecke auf dem steilen Maierbräugasteig vom Kalvarienberg hinunter zur Marktstraße läge. Das wäre für Fahrer und Zuschauer gefährlich, weil die Wagen eisenbeschlagene Räder haben. Wenn die auf dem glatten Kopfsteinpflaster blockierten, "dann ist das wie ein Schlitten", sagt Stadtrat und Landwirt Anton Mayer (CSU), der seit vielen Jahren selbst mit einem Gespann an der Wallfahrt teilnimmt. Für Leonhardi-Lader Anton Heufelder hatte der Unfall nichts mit der Witterung zu tun. Er habe sogar schon eine Leonhardifahrt auf pulverschneebedecktem Boden erlebt, "das war eine der schönsten", erzählt er. Eine Absage käme für ihn bloß in Frage, wenn Dachlawinen von den Hausdächern abgehen könnten. Aber in der Geschichte der Leonhardifahrt, die am Donnerstag ihre 159. Auflage erlebte, gab es nie eine solche Entscheidung. Sie fand immer statt.

Der Tölzer Stadtrat Anton Mayer, hier mit einem seiner Pferde, kennt sich mit den Tieren aus und weiß, was passieren kann. (Foto: Manfred Neubauer)

Stadtrat Mayer ist jedes Mal erleichtert, wenn alles gut gegangen ist. "Bei mir ist Leonhardi erst vorbei, wenn die Pferde wieder im Stall stehen." Den Unfall auf dem Kalvarienberg bedauert er. Mehr noch: "Das ist mir aufs Gemüt gegangen." Den Fuhrmann aus Dietramszell kennt er persönlich als einen "wirklich zuverlässigen Menschen". Was diesem passiert sei, könne jedem widerfahren. "Es war eine unglückliche Situation." Ob sie verhindert worden wäre, wenn Pferde Scheuklappen trügen? Der Stadtrat und Landwirt antwortet mit einem klaren "Nein". Das sei nur sinnvoll, wenn der Kutscher den Tieren mit der Peitsche die Richtung vorgebe oder einem von ihnen damit anzeige, schneller zu laufen. Dazu seien Scheuklappen nötig, damit das eine Pferd das andere nicht sieht. Ansonsten verhüte dieser Sichtschutz nicht, dass Rösser erschrecken. Das glaubt auch Bürgermeister Janker: "Ich kann mir vorstellen, dass es kontraproduktiv ist, wenn ein Pferd etwas hört, aber nicht sieht."

Das Sicherheitskonzept der Stadt hält Mayer für völlig ausreichend. Er warnt davor, noch mehr Regeln aufzustellen: "Das wäre der Tod der Leonhardifahrt." Auch für Heufelder sind die Vorschriften in Ordnung und müssen wegen des Unfalls nicht überprüft werden. "Bei 400 Rössern kann immer eines dabei sein, das empfindlich reagiert." Allerdings gesteht Janker zu, der Unfall auf dem Kalvarienberg "hätte viel schlimmer ausgehen können". Einen Schuldigen sieht er nicht, weshalb er nicht wüsste, welche Konsequenzen zu ziehen wären. "Dann dürften wir die Leonhardifahrt überhaupt nicht mehr machen." Dem pflichtet der Tölzer Polizeichef bei. "Ein Restrisiko bleibt immer", sagt Gigl.

© SZ vom 08.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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