Ausstellungsbesuch:Schlossherrin mit Baumgedächtnis

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Die aus Belgien stammende Künstlerin Rita De Muynck lebt und arbeitet seit 1979 in Schlehdorf. Bei den Murnauer Ateliertagen öffnet sie ihre "Kunstfabrik Reuterbühl" - und zeigt beeindruckende Bilder zum Krieg

Von Sabine Näher, Schlehdorf

Der Besuch in Rita De Muyncks "Kunstfabrik Reuterbühl" ist ein Abenteuer. Zunächst einmal lässt man Schlehdorf hinter sich und fährt ins grüne Nichts hinein. "Manche Navis geben den Zielort falsch an. Wenn Sie mitten in den Wiesen stehen, müssen Sie einfach immer weiter fahren", hatte die Hausherrin vorgewarnt. Erreicht man dann endlich die ehemalige Gardinenfabrik, wirkt sie abweisend wie eine Trutzburg. Hier soll Kunst entstehen und beheimatet sein? Oh ja, stellt sich sogleich heraus, wenn man die erste Tür durchschritten hat. Und dann gibt es immer weitere Türen die zu neuen Entdeckungen einladen - manche gar mit der den Forscherdrang anstachelnden Aufschrift "Eintritt verboten!". Wie in einem verwunschenen Schloss.

Doch die Schlossherrin ist äußerst irdisch, lebendig und sprüht vor Kreativität. Die aus Belgien stammende Künstlerin, die seit 1979 in Schlehdorf lebt und arbeitet, hat ursprünglich Psychologie und Philosophie studiert. 1970 kam sie nach Deutschland und hat hier ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München absolviert. Am vergangenen Wochenende hatte sie im Rahmen der Murnauer Ateliertage in die "Kunstfabrik Reuterbühl" geladen, um ihre neuesten Werke zu präsentieren, die einen Dialog mit dem amerikanischen Künstler Marcus Jansen eingehen. "Es war einmal ein Krieg..." ist diese Bilderschau betitelt. Beiden Malern geht es darum, die Spuren von Krieg und Gewalt schonungslos darzustellen. Marcus Jansen aus Fort Myers (Florida), der zum "Urban Expressionism" gerechnet wird, hat selbst als GI am zweiten Irakkrieg teilgenommen. Seine meist großflächige expressive Malerei ist derzeit auf einer Europatournee in namhaften Museen. In Schlehdorf sind sieben seiner Werke zu sehen. Etwa eine große grüne Landschaft, in der überdimensional riesige Fliegenpilze aufragen, Reste einer Bahnlinie, einzelne Autoreifen und verloren umher irrende Menschen auszumachen sind - ein Bild totaler Trostlosigkeit. Oder ein kleines Mädchen mit Zöpfen und einer Gasmaske in einem zerstörten Raum, das erschütternde Verlassenheit ausstrahlt.

Daneben zwei Bilder De Muyncks: Ein großformatiges von Soldaten mit Helm und Gasmaske, einer auf einem Pferd, in gelb-orange-roten Feuerfarben, wie moderne apokalyptische Reiter. Ein ganz kleines Bild zeigt einen Soldaten mit Nachtsichtgerät, bedrohlich und schwarz, der ein weißes Schaf im Arm hält. Als Retter oder Mörder? Diese Dialogausstellung bezieht Position, lässt keinen Betrachter unberührt und regt zum Nachdenken und Nachfühlen an.

Doch wie gesagt: Es gibt viele Räume in diesem großen Haus. Und entsprechend viel Kunst zu entdecken. Gut, wenn Rita De Muynck auf Besonderheiten aufmerksam macht wie die riesigen Baumstämme: "Die Bäume standen unweit des Münter-Hauses in Murnau. Sie haben die Malerin also gesehen - und diese hat sie gesehen. Als wir erfuhren, dass sie gefällt worden waren, sind wir sofort losgefahren, um sie zu kaufen." So entstand das "Baumgedächtnis" mit dem markanten Kopf Gabriele Münters, der in drei Metern Höhe aus dem Stamm wächst. Gegenüber ein großformatiges Bild in schillernden Blau-Tönen: "Baum bei Kochel". Aus dem Wasser ragt ein Kopf heraus, fragend, geheimnisvoll. Das "Requiem" zeigt einen toten Menschen in einer Grube. An deren Rand steht ein großer schwarzer Hund und schaut hinab. Nicht jeder Betrachter wird damit die Deutung verbinden, die die Malerin angibt: "Er trauert - und kann sich nicht trennen." Für sie habe das etwas Tröstendes, meint De Muynck, die das Bild nach dem Tod ihrer Mutter malte. Vielen Deutungen offen ist auch das Bild, das eine Reihe kleiner Schulmädchen mit leuchtenden Warnwesten zeigt, die von einem ominösen Strudel aufgesogen werden. Erste Assoziation: Bedrohung! Doch De Muynck gibt zu bedenken: "Vielleicht werden sie errettet von diesem Warnjacken-Dasein und dürfen dort, wo sie jetzt hinkommen, wirklich Kind sein?" Dieses Bild habe sie übrigens in Selbsthypnose geschaffen, erzählt die studierte Psychologin. Und dabei Beethovens viertes Klavierkonzert gehört. Vielleicht ist er ja der kleine rote Mann, der unten am Bildrand in einer Baumgabel sitzt.

© SZ vom 22.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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