Aus dem Amtsgericht:Hochriskantes Überholmanöver im Ausflugsverkehr

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Der Fall landet vor dem Amtsgericht, weil beide Beteiligten dem Strafbefehl widersprochen haben. (Foto: Hartmut Pöstges)

Eine 43-Jährige zieht an einer Autokolonne vorbei. Der entgegenkommend Fahrer verfolgt die Frau

Von Benjamin Engel, Gaißach/Lenggries

Noch Minuten danach zittert der 49-jährige Tölzer so, dass er seinen Namen nicht schreiben kann. Rund sechs Kilometer nördlich haben zwei Autos seinen Wagen auf der Bundesstraße von Bad Tölz nach Lenggries überholt - trotz eines entgegenkommenden Kleinbusses. Das zweite Fahrzeug einer 43-jährigen Gräfelfingerin kann gerade noch vor dem Mann einscheren. Er selbst tritt auf die Bremse. "Ich habe in die Eisen steigen müssen, dass die Frau noch reinkommt", berichtet der Feinmechaniker im Wolfratshauser Amtsgericht. "Ich war mir sicher, es gibt einen Unfall." Zum Glück passiert an dem Julisonntag nichts. Doch der 35-jährige Fahrer des Kleinbusses aus Lenggries wendet und nimmt die Verfolgung der Frau auf. Bei Fleck soll er ihr Auto überholt und ausgebremst haben.

Fast neun Monate später sitzen der Kleinbusfahrer - er hat den Vorfall angezeigt - und die Gräfelfinger Sekretärin auf der Anklagebank. Beide haben Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt. Nur daher wird am Wolfratshauser Amtsgericht öffentlich verhandelt. Die Frau räumt ihr Fehlverhalten ein. Sie wird zu einer Geldstrafe von 2400 Euro wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt. Einen Monat lang ist sie den Führerschein los. Das Verfahren gegen den Lenggrieser wegen Nötigung wird eingestellt. Er muss dafür 1000 Euro an den Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr zahlen.

Vor einem Dreivierteljahr will die Angeklagte einen Sonntagsausflug an den Achensee machen. Ihre beiden Kinder, 15 und zwölf Jahre alt, sitzen mit im Auto. Ein bekanntes Paar fährt mit dem Wagen voraus. Auf dem Weg nach Süden fahren sie gegen 10.15 Uhr noch vor Lenggries ans Ende einer Kolonne. Bei etwa Tempo 80 - 100 Stundenkilometer sind erlaubt - überholen zuerst die Bekannten der Frau. Dann schert auch sie aus, obwohl sie den Kleinbus entgegenkommen sieht. "Ich habe dessen Geschwindigkeit und die Entfernung nicht richtig eingeschätzt", sagt die Frau. "Er war schneller als gedacht." Sie habe noch überlegt, in die Kolonne einzuscheren. Dann sei ihr das wegen der geringen Abstände zu gefährlich erschienen. Daher habe sie den Überholvorgang fortgesetzt und sei wieder eingeschert, kurz bevor der Kleinbus kam. "Das war sehr knapp."

Mehrere Kilometer weiter südlich habe der Kleinbus sie plötzlich überholt und abrupt gestoppt. Von Tempo 70 habe sie auf null runterbremsen müssen, schildert sie. Der Fahrer sei ausgestiegen, habe sie fotografiert und angebrüllt. "Er hat gesagt, ihr Drecksmünchner meint immer alles machen zu können." Sie habe sich mehrmals entschuldigt und zugegeben, einen Fehler gemacht zu haben. Sie habe mit ihm aber nicht vernünftig reden können.

Nach Ansicht des Kleinbusfahrers fehlten beim ersten Überholmanöver der Angeklagten nur Zentimeter zu einem fürchterlichen Unfall. Seine Frau und zwei Kinder hätten im Wagen gesessen. Sie wollten zu einem Ausflug an den Staffelsee fahren. Er habe zwei Autos auf seiner Spur entgegenkommen gesehen. "Für mich hat es so ausgesehen, als wollte die Frau auf Teufel komm raus hintennach", sagt er. Seinen Bus habe er auf das Bankett gelenkt und nur noch gedacht, dass sein Leben jetzt vorbei sei. "So habe ich sie nicht davonkommen lassen wollen", erklärt der Mann. Daher habe er gewendet und die Frau verfolgt, um sich ihr Kennzeichen notieren zu können.

Die Frau habe er weder beleidigt noch abrupt ausgebremst. Nur sanft sei er auf die Bremse getreten. Im Streit sei er laut geworden, habe die Frau darauf hingewiesen, sie habe ihn und seine Familie beinahe umgebracht. Diese Schilderung bestätigt auch der Tölzer Feinmechaniker, vor dem die Angeklagte knapp eingeschert ist. Der Kleinbus habe bei Fleck das Auto der Frau überholt. Alles sei zum Stillstand gekommen, als ob ein Stau entstünde. Beleidigungen habe er nicht gehört. Als der Kleinbusfahrer ihn um seine Personalien bat, habe er vor lauter Zittern seinen Namen nicht schreiben können.

Die Staatsanwältin plädiert für 3200 Euro Geldstrafe. Ihrer Ansicht nach hätte sich die Angeklagten ihrer Vorbildfunktion gerade auch für ihre Kinder bewusst sein müssen. Der Verteidiger bittet darum, ihr Geständnis zu würdigen. Dass die Frau alles einräumt, lobt Amtsrichter Helmut Berger. Das komme selten vor, viele suchten Ausflüchte, sagt er. "Das ist Ihnen hoch anzurechnen."

© SZ vom 31.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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