Aufstieg:Alarm auf dem Gipfel

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Die Alpinspezialisten der Polizei müssen gute Bergsteiger sein. Auch ein Geretsrieder Beamter lässt sich heuer ausbilden

Von Paul Winterer/dpa, Oberaudorf/Geretsried

Ein nebliger Herbsttag am Sudelfeld über dem bayerischen Inntal - die Wolken wollen der Sonne partout nicht weichen. Warm eingepackt machen sich zehn Polizisten auf den Weg zu einem typischen Alpineinsatz: Ein Mann wird seit drei Tagen vermisst, mit dem Schlimmsten ist zu rechnen. An diesem Tag ist es allerdings kein Ernstfall, sondern das Szenario für eine Prüfungseinheit junger Beamter am Ende ihrer dreijährigen Ausbildung zum Polizeibergführer.

An die 60 derartiger Alpinspezialisten hat Bayerns Polizei. Mit der 29-jährigen Ronja Lewandowski wird Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Samstag erstmals eine Frau zur Polizeibergführerin ernennen. "Eine muss ja den Anfang machen", sagt die Allgäuerin, die bei der Polizeiinspektion in Oberstdorf arbeitet. "Ich war schon als Kind immer in den Bergen unterwegs", erzählt die junge Frau. Seit sie bei der Polizei ist, hat sie sich darauf gefreut, Polizeibergführerin zu werden. In ihrer dreijährigen Ausbildung sei ihr als Frau in der männerdominierten Truppe der Alpinpolizisten nichts geschenkt worden, erklärt Lewandowski. Der Alpinbeauftragte der bayerischen Polizei, Peter Wiesent, bestätigt: Lewandowski musste ihre erstklassige körperliche Kondition genauso unter Beweis stellen wie die Männer. "Gleichzeitig war sie unsere Lady", fügt Wiesent jedoch augenzwinkernd hinzu.

Die Bergpolizisten können in ihrer Übung am Sudelfeld den Vermissten nur tot bergen. 60 Menschen sterben jedes Jahr in den bayerischen Bergen. (Foto: Peter Kneffe/dpa)

Durchschnittlich 60 Menschen sterben Jahr für Jahr in den bayerischen Bergen. Nicht nur dann ist die Alpinpolizei gefragt. Auch bei Unfällen mit Schwerverletzten, bei Vermisstensuchen oder wenn ein Verdacht auf eine Straftat vorliegt und nach mutmaßlichen Tätern gefahndet wird, rücken die Polizeibergführer aus. Von Oberstdorf bis Berchtesgaden haben sie bis zu 400 Einsätze im Jahr. Zusammengerechnet leisten sie 10 000 Arbeitsstunden.

Wenn nicht gerade im Alpineinsatz, sind die Polizeibergführer normale Beamte in Inspektionen. Intern genießen sie einen guten Ruf. "Wir wollen aber nicht elitär sein", beteuert Wiesent. "Irgendwelche sonderbaren Aufnahmerituale gibt es bei uns nicht", sagt der Alpinbeauftragte, ohne die Gebirgsjäger der Bundeswehr zu erwähnen, die vor Jahren wegen fragwürdiger Mutproben in die Schlagzeilen gerieten.

"Die Arbeit als Polizeibergführer erfordert Engagement und Flexibilität", sagt Lehrgangsteilnehmer Lorenz Kellner, der zur Polizeiinspektion Geretsried gehört. "Sie hat aber auch ihre schönen Seiten. Wer kann schon in so einer Umgebung arbeiten", meint der 44-Jährige und deutet auf die Bergwiesen.

Nur wer in seiner Freizeit regelmäßig beim Bergsteigen ist, kann sich zum Polizeibergführer ausbilden lassen. Die Tauglichkeit der überwiegend unter 35 Jahre alten Bewerber wird in zwei Lehrgängen im Sommer und Winter festgestellt, wie Wiesent erläutert. Erst danach erfolgt die eigentliche dreijährige Ausbildung. Dazu gehören Bergrettung, Lawineneinsätze, Klettern am Fels, das Training mit dem Polizeihubschrauber und die Skilehrereignung. Am Ende der Ausbildung steht die Prüfungswoche.

Der angehende Polizeibergführer befragt Almbewohner. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Wegen Nebels kann bei der Prüfungseinheit am Sudelfeld nahe Oberaudorf der Hubschrauber nicht fliegen. Mit ihm hätte das Bergen der vermeintlichen Leiche vorgeführt werden sollen. "Das ist die reale Situation", sagt Übungsleiter Peter Tausch. "Auch bei unseren tatsächlichen Einsätzen verhindert schlechtes Wetter oft den Einsatz des Hubschraubers." Die angehenden Polizeibergführer haben inzwischen im Ablauf des Prüfungsszenarios das Auto des Vermissten gefunden und können so das Suchgebiet eingrenzen.

Nach einiger Zeit finden sie die "Leiche" des Mannes unterhalb eines Wasserfalls - in Wirklichkeit ist es eine 80 Kilo schwere Puppe. Sie sieht einem Menschen zum Verwechseln ähnlich. Nachdem ein Beamter der zuständigen Kripo-Dienststelle eingetroffen ist und die Spurensicherung übernimmt, legen die Prüflinge die Puppe behutsam auf eine Trage und bringen sie in teils unwegsamem Gelände zu einem Fahrzeug. Ein Beamter lässt sich über dem Wasserfall zu einem in einem Baum hängenden Rucksack abseilen, der dem "Toten" gehörte. Das Gepäckstück wird zur Beweissicherung gebraucht, beispielsweise könnte sich der Ausweis darin befinden.

Wenn Innenminister Herrmann am Samstag den neuen Polizeibergführern die Ernennungsurkunden überreicht, feiert der Verband Deutscher Polizeiberg- und Skiführer gleichzeitig sein 50-jähriges Bestehen. Er dient der europaweiten Kontaktpflege von Alpinpolizisten. "Der Gedankenaustausch und eine intensive Zusammenarbeit über geografische Grenzen hinweg fördern die Sicherheit in den Alpen", so Verbandschef Michael Gebhardt. Natürlich ist auch er im Lehrteam der bayerischen Alpinpolizisten und freut sich über zehn neue Mitglieder. Alle Prüflinge haben bestanden.

© SZ vom 06.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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