Ärger am Bahnhof Tutzing:Überpünktlich unpünktlich

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Wenige Minuten zu spät kommt der Zug aus München in Tutzing an. Das wäre nicht schlimm, wenn nicht der Anschlusszug pünktlich abfahren würde - ohne auf die Pendler zu warten.

Sabine Reithmaier

Donnerstagabend. Die Regionalbahn von München nach Tutzing ist gut unterwegs. Sieht so aus, als würde sie pünktlich in Tutzing ankommen. Pünktlich ist relativ zu verstehen. Laut Fahrplan müsste sie um 18.59 Uhr in Tutzing sein. In Wahrheit kommt der Zug nahezu täglich ein paar Minuten später an. Eigentlich kein Problem, da der Anschlusszug nach Kochel nur die Aufgabe hat, die Pendler nach Hause zu befördern.

Regionalzug am Tutzinger Bahnhof: "Das gibt's doch nicht!" (Foto: Franz-Xaver Fuchs)

Der Zug hält um 19.02 Uhr und die circa 50 Pendler wandern entspannt durch die Unterführung Richtung Gleis 1. Entspannt deshalb, weil die Verspätung so gering ist und deshalb ein Spurt - im Gegensatz zu anderen Abenden - nicht notwendig erscheint. Die ersten eilen die Treppe hoch. Ihr Tempo wird belohnt, sie sehen noch, wie der Zug nach Kochel genau nach Fahrplan um 19.04 Uhr abfährt, während die Nachkömmlinge nur mehr die roten Rücklichter sehen. "Das gibt's doch nicht."

Fassungslos starrt die Gruppe dem Zug hinterher. Der nächste geht, wie die Anzeigetafel verkündet, in exakt 59 Minuten. Fünf Minuten Schweigen, dann ist der erste Schock überwunden, Wut kommt hoch. Leider ist niemand greifbar, der sich als Blitzableiter anbietet. Da Pendler auf dieser Strecke öfter Grund zum Toben haben, ist der Tutzinger Bahnhof in weiser Voraussicht von 19 Uhr an wegen Vandalismus geschlossen. Die Kneipe ist auch dicht.

Um nicht zu erfrieren, bleibt nur nächtliches Wandern durch Tutzing mit viel Zeit zum Nachdenken darüber, was in einem Schaffner so vorgeht. Vielleicht wünscht er sich seit Kindheitstagen, einmal einen leeren Zug zu fahren, jetzt hat er sich den Traum erfüllt. Vielleicht hat er sich geschworen, einmal pünktlich in Kochel anzukommen. Der nächste Zug dorthin verlässt Tutzing um 20.08 Uhr. Eher ging es nicht, er musste doch die Bahn aus München abwarten.

© SZ vom 13.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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