3,60 Meter, 1,1 Kilo:Ein Alphorn im Täschchen

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"Alles ist möglich, alles ist Musik": So hält es Rajko Musulin auch mit seinem Alphorn. (Foto: Arlet Ulfers)

Rajko Musulin hat ein federleichtes Exemplar, aus Karbon und zusammenschiebbar

Von Manuela Warkocz, Schlehdorf/Tutzing

"Ja, Herr Musulin, ich grüße Sie. Wir wollen doch eine Geschichte über Sie und Ihr Alphorn machen." - "Hab ich dabei", sagt der kleine Mann, grinst verschmitzt und deutet auf das schmale Täschchen am Riemen über seiner Schulter. Am Starnberger Dampfersteg zieht Rajko Musulin sein Instrument zaubertrickartig auseinander, auf beachtliche drei Meter sechzig. Federleicht ist es, es besteht aus Karbon, wiegt nur 1,1 Kilogramm, ist im Grundton F gehalten und mit 4000 Euro recht wertvoll.

Als er ihm die ersten Töne entlockt, halten die Spaziergänger an der Uferpromenade inne. Tief, warm, archaisch schwingt der Klang übers Wasser. Musulin kann das Alphorn auch wie ein Didgeridoo spielen. Seine Kunst demonstrierte er Ende Juli beim Fest der Völker in Tutzing. Danach wollte man wissen: Wie kommt ein gebürtiger Serbe zum Alphornspielen? Beim Gespräch am See lernt man einen Maler, Bildhauer, Musiker und vor allem sympathischen Lebenskünstler kennen, der immer wieder mit der legendären Weltmusik-Band Embryo unterwegs ist und mit dem Münchner Alphornkollektiv 2013 die Biennale in Venedig begleitet hat.

"Ich bin sehr interessiert an verschiedenen Sachen", sagt Musulin. 1948 in Jugoslawien geboren, begann er früh zu zeichnen, kam mit 16 über die Begabtenprüfung an die Akademie für Bildende Künste in Belgrad. Klassischer Konflikt: Die Eltern, selbst aus einfachen Verhältnissen, wollen keinen Künstler, sondern einen Ingenieur oder reichen Geschäftsmann aus ihm machen. Der Vater trinkt. Mit 22 Jahren verlässt Musulin Serbien. Er will nach Amerika auswandern, in San Francisco studieren. "Ich wollte die Welt sehen, hab' mich in den Zug gesetzt und los. War vielleicht ein bisschen verrückt", räsoniert "Rajko", wie Freunde ihn nennen. In Hamburg kommt er mit einem Landsmann an, "mit einem Köfferchen und 117 Mark, ich wusste nicht, was passiert".

Schicksal oder Talent, sich Freunde zu machen - ein Polizist, der die beiden aufgreift, verschafft ihnen Arbeit in einer Reifenfirma, der Chef organisiert ein Zimmer in einem Motel. In Deutschland bleibt er hängen. "Und ich bin froh darüber", sagt der Mann mit dem eisgrauen Bart und den Lachfältchen. Politisch gesehen hat er keine Lust mehr auf Amerika. Kunst, Landschaft, Menschen - das alles gefällt ihm in Deutschland. Nach Stationen in München und Starnberg fand er vor vier Jahren in einer Wohngemeinschaft im Klostergut Schlehdorf mit öko-sozialer Landwirtschaft sein Zuhause. "Da habe ich alles, was ich brauche, gute Leute, gutes Essen, eine separate Wohnung in einer Villa."

Durch seine Gemälde und Bildhauer-Arbeiten machte Musulin sich einen Namen im Fünfseenland, stemmte Ausstellungen, verkaufte auch. Sechs Jahre lang lebte er von seiner Kunst. Aber nach einem Unfall - er wurde unter einem umstürzenden Regal eingeklemmt, verletzte sich an den Beinen - erwies sich die Arbeit als zu anstrengend. "Außerdem gibt's Künstler wie Sand am Meer", sagt er. Das ewige Feilschen um den Preis für ein Kunstwerk hatte er satt.

Er konzentrierte sich auf Musik, seine zweite Leidenschaft von Jugend an. In Serbien hatte er eine eigene Band, war der Schlagzeuger. Auch in Deutschland kniete er sich ins Trommeln, machte Percussion. Trat mit Embryo auf, dem Musikkollektiv aus München, in dem seit 1969 mehr als 400 Musiker aus aller Welt immer wieder neue Musikstile vereinen. "Ich brauche das, mich auszutoben, die Freude an der Musik zu teilen. Ich habe so viele tolle Musiker kennengelernt." In der Starnberger Montessori-Schule hat Musulin nicht nur Kunst und Werken unterrichtet, sondern auch Kinder mit Trommelprojekten begeistert.

Neben einem reichhaltigen Percussion-Sammelsurium hat er über die Jahre Blasinstrumente aller Art zusammengetragen. Alles, was man ohne Noten spielen kann. Denn Notenlesen ist ihm zu theoretisch. Sein Fundus umfasst "circa sechs Trompeten", so genau weiß er das nicht, ein Bariton-Horn, Maultrommeln und Mundharmonikas. Dazu gesellte sich vor mehr als zehn Jahren das Alphorn. Der Münchner Bildhauer Claus Nageler, der am 6. Juli gestorben ist, brachte ihn dazu. "Er sagte, du bist begabt, probier das mal aus." Eigentlich hatte der Quergeist Musulin auf so etwas Traditionelles mit Lederhosenlook keine Lust. Aber nachdem er damals aus dem Instrument sofort einen runden Ton herausbrachte, gefiel ihm das Spiel. Im Münchner Alphornkollektiv fand er Musikerkollegen ganz nach seinem Geschmack. Das Ensemble versteht sich als offene Formation von blasbegeisterten Individualisten, "die den sphärischen und archaischen Klang des Alphorns lieben und achten", so die Philosophie. Gern lassen sich die sechs Männer und zwei Frauen ein auf das Zusammenspiel mit Trommeln, Quetschen, Marimbas, anderen Blasinstrumenten und Stimmen. "Wir halten uns an keine Regeln, alles ist möglich, alles ist Musik", heißt die Devise.

Musulin liebt das Alphorn. "Man kann es ummodeln und jazzig spielen, säuselnd oder in einem wilden Klangteppich", schwärmt er. Das traditionelle Signalinstrument ersetzt nicht nur in der Schweiz die Kommunikation von Berg zu Berg. Auch in Russland und Musulins Heimat Serbien ist es bekannt. Dort heißt es "Alpski Rog".

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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