Witwer-Treff:Hilfe nach dem Tod der Partnerin

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Beim monatlichen Treff für junge Witwer versuchen Männer, ihre Trauer zu bewältigen und wieder Kraft für einen Neubeginn zu finden.

Kathrin Löther

Irgendwann, einige Monate nach dem Krebstod seiner Frau, musste das normale Leben für Peter Lehmann wieder weitergehen. Irgendwie. Aber es war nicht mehr normal. Ab und zu fuhr der heute 41-Jährige nach der Arbeit noch unbewusst in das Krankenhaus, in dem sie zuletzt mehrmals behandelt worden war.

Als junge Witwer haben Peter Lehmann (links) und Gregor Ley einen Treff geschaffen, bei dem Männer über ihre Sorgen sprechen können. (Foto: Foto: Robert Haas)

Die Leere seines Lebens, dessen Inhalt nun wie weggeblasen schien, versuchte der junge Witwer mit einem Umzug, einem Jobwechsel und einer langen Reise zu füllen. Und dann, als all diese Aktivitäten erledigt waren, die erdrückende Stille im Kopf überhand nahm, auch mit Alkohol. "Mein Privatleben war eine echte Katastrophe", sagt Lehmann.

Dass es dies heute, zehn Jahre später, nicht mehr ist, verdankt er auch der Münchner Nicolaidis-Stiftung, einer Anlaufstelle für junge Witwer und Witwen aus dem gesamten Bundesgebiet. Seine Erfahrungen gibt Lehmann nun weiter. Zusammen mit Gregor Ley hat er vor einem guten Jahr eine ungewöhnliche, wohl noch einzigartige Form der Trauerbewältigung initiiert: Einen Männer-Treff für junge Witwer, eine Art Stammtisch, an dem sie einmal im Monat locker und ungezwungen über ihre Geschichten reden können. Über Sorgen und Ängste, über Vergangenheit und Zukunft, über Fußball, Frauen und Politik.

Die sechs, sieben Männer, die bislang zu der offenen Runde im Unionsbräu kommen, sind zwischen 30 und 50 Jahre alt und haben ihre Frauen teils erst vor einigen Wochen, teils schon vor etlichen Jahren verloren. Jung verwitwet zu sein heißt, noch einmal die Chance zu haben, ein komplett neues Leben zu beginnen. Peter Lehmann ist mittlerweile wieder glücklich verheiratet, die Gedanken an seine verstorbene Frau sind zwar eine immer vorhandene Wunde, doch zerreißen sie ihn nicht mehr innerlich.

"Gemeinsam trauern ist wichtig, aber nur ein Aspekt in Betroffenengruppen. Die Veränderung der Beziehung zum Verstorbenen, eine Orientierung nach vorne, ist ein anderer wichtiger Teil", sagt Professorin Rita Rosner, Psychologin und Trauerspezialistin an der Ludwig-Maximilians-Universität. Angebote für Verwitwete, egal ob Männer oder Frauen, betrachtet sie mit ambivalenten Gefühlen. Manche Selbsthilfegruppen könnten unter ungünstigen Umständen sogar unbewusst verhindern, dass jemand aus seiner Trauer herausfinde, weil sich die Teilnehmer gegenseitig herunterzögen.

Der Ansatz des Männer-Treffs sei ein optimistischer, sagen Lehmann und Ley, vielleicht auch eine Ergänzung zur Selbsthilfegruppe. Dass nur Männer in der Zielgruppe sind, liegt an den immer noch bestehenden Unterschieden zwischen den Geschlechtern, was Trauer betrifft.

Eine Studie aus den Niederlanden mit älteren Witwern zeigte, dass Frauen und Männern tatsächlich deutlich unterschiedliche Trauerformen und -bewältigungen zugestanden werden. "Frauen dürfen und können emotional sein, brauchen aber eher Hilfe bei der Aufgaben- und Alltagsbewältigung", sagt Rita Rosner. "Bei Männern ist das andersherum. Die können Probleme lösen, aber schwerer mit ihren Gefühlen umgehen."

Die Psychologie-Professorin hofft, dass dies bei der jüngeren Generation von Witwern etwas anders ist. Und tatsächlich gilt für Lehmann und Ley das Klischee nicht mehr. In der schweren Zeit nach dem Tod ihrer Frauen ließen sie sich helfen. Dennoch war für die beiden von vornherein klar gewesen, dass der neue Stammtisch nur für ihresgleichen sein sollte: "Männer reden einfach anders unter Männern", meint Gregor Ley. Hätte er es sich aussuchen können, hätte er sich in der akuten Phase seiner Trauer einen Mann gewünscht, der ihn psychologisch begleitet.

Zweieinhalb Jahre ist es nun her, dass die Frau starb, mit der er einen kleinen Sohn hat; mit der er gerade ein neues Haus gemietet hatte und auf das zweite Baby wartete. Der Tod kam plötzlich, und war doch irgendwie vorauszusehen. "Jetzt ist es dann wohl soweit", dachte sich der 36-Jährige, als er seine Frau an einem herbstlichen Nachmittag in der Kinderkrippe der Klinik sah, in der er als Kardiologe arbeitet. Sie wollte gerade Sohn Jonathan abholen, als ihr übel wurde, sie kaum noch ansprechbar war.

Von Geburt an hatte die 30-Jährige eine Gefäßmissbildung im Gehirn, manchmal epileptische Anfälle, sonst aber keinerlei Einschränkungen. Im Alltag verdrängte das Ärztepaar die Erkrankung, so gut es ging, manchmal mehr, manchmal weniger. "Ich hatte das Worst-Case-Szenario trotzdem oft durchgedacht. Vielleicht hat das ein Stück der Verarbeitung vorweggenommen", sagt Gregor Ley heute.

Worst-Case, das hieß: Tage und Nächte in Kliniken, schwere Entscheidungen, die Beendung der Intensivmedizin und nebenbei der zweijährige Jonathan, für den der Alltag weitergehen musste. Wie sollte er dem Zweijährigen das alles beibringen? Wie sollte die Zukunft nun aussehen? Eine Zukunft, die nicht länger aus dieser glücklichen, vollkommenen Familie bestehen würde?

Gregor Ley erklärte Jonathan in einfachen Worten, mit sprachlichen Bildern, aber klipp und klar, dass seine Mama nie mehr wiederkommen würde. Bis jetzt habe das Kind es gut verkraftet, sei nach wie vor der fröhliche Junge von früher. Manchmal essen die zwei einen Bissen für die Mutter mit, besuchen sie mit einem Lächeln auf dem Friedhof.

Gregor Ley hat sehr früh versucht, professionelle Unterstützung zu bekommen. Er bekam sie bei der Nicolaidis-Stiftung. Doch ein Angebot für Männer, eine gemütliche Kneipenrunde, gab es in der ganzen Region nicht. Mittlerweile hat sich der 36-Jährige ein Leben aufgebaut, in dem Arbeit, Sohn und ein bisschen Freizeit ihren Platz haben. Ohne die gute Unterstützung von Familie und Kollegen, ohne die Verantwortung für Jonathan wäre dies wohl nicht so geworden. Die alltäglichen Gedanken, wie es war, als seine Frau noch lebte, werden mit der Zeit seltener, die emotionalen Schwankungen weniger ausgeprägt. "Ich bin auf einem Niveau angekommen, wo ich sage, es ist okay für mich", sagt Gregor Ley. Gewünscht hätte er sich etwas ganz anderes.

Sowohl für Ley als auch für Peter Lehmann war bald nach dem Tod ihrer Partnerinnen festgestanden, dass sie ihr Leben nicht alleine verbringen wollten. Vor gut einem Jahr hatte Ley wieder eine zweimonatige Beziehung, in der er merkte, dass es trotz allem möglich ist, wieder Gefühle für eine andere Frau zu entwickeln - und den Spagat zwischen der neuen Liebe und der zu seiner verstorbenen Frau hinzubekommen. Schwierig war es für die beiden Männer nach ihrem Schicksalsschlag, mit einigen ihrer alten Freunde umzugehen. "Manche verstehen eben nicht, dass man nach einigen Monaten nicht wieder ganz der alte ist", sagt Lehmann.

Dass es heute andere unausgesprochene Normen gibt, wie lange jemand in der öffentlichen Wahrnehmung trauern darf, bestätigt auch Rita Rosner: "Früher war mindestens ein Jahr erlaubt, heute ist es viel kürzer." Jetzt reicht es aber mal, der soll endlich wieder normal werden, heiße es oft. Dabei gebe es keine Regeln, welche Trauerzeit noch normal sei, eher, welche Inhalte, sagt die Psychologin.

So unterschiedlich die einzelnen Geschichten wie bei Lehmann und Ley sein mögen: Beim Männer-Treff können die Witwer mit Verständnis rechnen und sich austauschen. Nicht nur über Ernstes, auch über den Spaß am Leben. Handeln, den Alltag wieder aufnehmen, könnten die meisten Männer, sagt Peter Lehmann. "Viele vergessen dabei aber die Emotionalität." Obwohl Tatkraft nichts Schlechtes ist, kann man sich gut hinter ihr verstecken. "Sich zu sagen, dass man stark ist, heißt nicht, alles nur mit sich alleine auszumachen. In gewisser Weise ist unser Treff damit auch eine Emanzipation des Mannes."

© SZ vom 19.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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