Winterbilanz:Warm statt weiß

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Der Biergartenwirt schwärmt vom Dezembergeschäft, die Liftbetreiber hatten frei, und die Allergiker schnieften schon Ende Dezember

Von Katharina Kutsche, Sarah Beham

Die Vögel

"Im Dezember war es so mild, dass schon kurz nach Weihnachten die ersten Vogelgesänge zu hören waren", sagt Sophia Engel vom Landesbund für Vogelschutz. Vereinzelt hätten Meisen sogar begonnen, ihre Nester früher zu bauen, normalerweise passiere das erst jetzt, Mitte März. Das Balzverhalten von Vögeln allerdings ist hormonell gesteuert und hängt von der Tageslichtdauer ab, nicht von der Temperatur. Insgesamt gilt: "Je kälter es ist, desto mehr Futter brauchen die kleinen Vogelkörper - desto weniger finden sie aber auch", sagt die Ornithologin. Und von der Winterfütterung profitierten vor allem Vögel in den Städten. Durch das relativ warme Wetter müsste aber genug Futter da gewesen sein. "Für alle Vögel, die den Winter in Deutschland verbringen, wie Meisen, Kleiber und Amseln, war es ein guter Winter."

Die Allergiker

"Die Pollenfalle auf unserem Dach hat schon kurz vor Weihnachten einen leichten Erlen- und Haselpollenflug angezeigt", sagt Franziska Ruëff, Leitende Oberärztin in der Klinik für Dermatologie und Allergologie an der LMU. "Das ist eindeutig zu früh." Ab Ende Januar sei es dann bei Erle und Hasel so richtig losgegangen, auch die Ulme, eigentlich erst ab März oder April aktiv, verteile ihre Pollen bereits seit Mitte Februar. "Bei den Patienten in unserer Hochschul-Ambulanz haben wir davon allerdings noch nicht so viel gespürt, die sind letztlich auch alle in Behandlung, also sollte es ihnen so oder so besser gehen", sagt Ruëff. Die Allergiker dürften sich aber in den vergangenen Wochen ohnehin gefreut haben: "Jeder Kälteeinbruch stoppt den Pollenflug. Birkenpollen haben wir bisher noch nicht festgestellt, die kommen regulär erst Ende März."

Die Liftbetreiber

Im Sommer weiden hier Kühe, im Winter fahren Kinder Ski. Eigentlich. Doch dieser Winter war zumeist mild, der Skilift Beuerberg lief nur zehn Tage, erzählt Sabine Vieweg, die im Winter im Familienbetrieb mithilft. Im Sommer arbeitet sie als Krankenpflegerin und hortet Überstunden, im Winter hat sie dafür Zeit für Lift und Skischule. Die gehört ihrer Schwester Claudia Mannheim. Die ganze Familie hilft zusammen, sie hängen am Lift, der vor 46 Jahren von ihrem Vater Otto Mannheim mit "Liebe und Hingabe" gebaut wurde. Den Lift aufgeben kommt trotz milder Temperaturen nicht infrage. Sabine Vieweg bleibt optimistisch: "Mal läuft es besser, mal schlechter." Auch früher habe es schon schlechte Winter gegeben. Den schlechtesten erlebten sie bei der Eröffnung des Lifts vor 46 Jahren: kein Tag Schnee.

Schnee war zum Leid vieler Liftbetreiber Mangelware,...

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(Foto: Robert Haas)

...in München schneite es aber bei einer Kunstaktion immerhin bunte Flocken.

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(Foto: Florian Peljak)

Auch die Mützenmode für Hunde kam nur selten zur Geltung,...

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

...dafür standen manche Bäume schon im Dezember in voller Blüte.

Die Blumen

Palmkätzchen erblühen, Krokusse verblühen: Frühling im Winter. Die warmen Temperaturen bringen die Pflanzenwelt durcheinander. Der milde Winter hatte aber auch Folgen für den Betrieb im Gewächshaus. "Die Kulturen wie Stiefmütterchen und Primeln sind früher dran, das ist aber nicht schlimm, da Ostern dieses Jahr so früh ist", erklärt Gärtnermeister Robert Breitmoser. Wäre Ostern im April, wären fast alle Blumen bis dahin verblüht. Doch der Wintereinbruch im März bremst das gute Februargeschäft bei Breitmoser wieder aus: "Im Januar und Februar hatten wir Märzbedingungen, im März haben wir jetzt Februarbedingungen." Floristin Claudia Dosch ist sich aber sicher: "Die Herbstpflanzen sind durch den trockenen Winter nicht mehr schön anzusehen - die Leute haben Lust auf Farbe."

Die Käfer

Trockener Sommer, milder Herbst, warmer Winter: Das sind beste Voraussetzungen für den Borkenkäfer, sagt Landwirt Wolfgang Scholz. Hinzu komme noch der Sturm Niklas im vergangenen Jahr, der die Widerstandsstruktur des Waldes geschwächt habe. Das Holz liege lange danach noch herum, "und das ist die Brutstätte für die Käfer", sagt Scholz. Vier Bäume waren im Herbst in seinem Wald im Sachsenrieder Forst auffällig. "Ich gehe davon aus, dass mehr Bäume von den Borkenkäfern betroffen sind, aber ich kann das noch nicht erkennen." Erste Anzeichen seien das farblich veränderte Kleid des Baums, aber auch das Bohrmehl, das die Käfer hinterlassen. Der milde Winter sei aber nicht nur für den Borkenkäfer optimal gewesen, sondern auch für Wildschweine. Wärmere Temperaturen bedeuten mehr Futterangebot, das führt zu besseren Überlebenschancen von Frischlingen. "Da haben wir auch Angst, Wildschweine richten beträchtliche Schäden an."

Die Eisstockschützen

"Schlecht, ganz schlecht." Herbert Fesl klingt frustriert, wenn er über den diesjährigen Winter spricht. Von November bis März pachtet er jedes Jahr den Nymphenburger Schlosskanal. Eigentlich tummeln sich dort auf dem Eis die Schlittschuhläufer und Eisstockschützen. Doch in diesem Winter hat Fesl kein einziges Mal aufmachen können. "Ich bin zum Aufbauen und Abbauen gekommen", sagt er. Die erforderlichen Zentimeter Eisdicke zum Betreten der Eisfläche waren im Januar erreicht, zehn Zentimeter. "Doch dann kam der Regen und hat alles wieder kaputt gemacht." Das Saisongeschäft macht ihm zu schaffen. "Es ist hart, die Winter sind zu mild." Auch in der vorletzten Saison habe er keinen einzigen Tag aufmachen können. "Da macht man sich schon Gedanken", sagt er. Aber Asphaltkunstbahnen als Ersatz? Das sei nicht dasselbe - "Eis ist Eis".

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(Foto: SZ-Grafik)

SZ-Grafik

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(Foto: SZ-Grafik)

Die Schneeräumer

Der städtische Winterdienst hat mit insgesamt 112 Einsatztagen zehn Tage mehr auf der Straße gearbeitet als im Winter zuvor - obwohl es damals mehr Schnee gab. Auch der Verbrauch von Rollsplitt lag trotz der milden Temperaturen mit 19 746 Tonnen deutlich über dem Vorjahr. Das liege beispielsweise an extremen Wetterbedingungen wie dem plötzlichen Eisregen am 23. und 24. Januar, heißt es aus dem Baureferat. Allein an diesen Tagen habe man rund 1600 Tonnen Splitt verbraucht. Zudem gab es in diesem Winter viele Nachtfröste. Und während in den vorherigen Wintern der Schnee und somit auch der Splitt größtenteils liegen blieb und nur nachgestreut werden musste, blieb der Schnee 2016 kaum liegen. Das bedeutete auch, dass die Straßenreinigung den Splitt entfernen und bei neuer Glätte wieder neu streuen musste.

Die Wirte

"Mit dem Dezember sind wir sehr zufrieden." Dieser Satz ist deshalb erstaunlich, weil er von einem Biergartenbetreiber kommt. Gerade rund um Weihnachten, sagt Sebastian Kuffler vom Seehaus im Englischen Garten, sei es so warm gewesen, dass der Biergarten am Kleinhesseloher See stark besucht gewesen sei. "Eigentlich haben wir zu der Zeit einen Wintermarkt, bei dem es Glühwein gibt, aber die Leute wollten lieber Bier trinken." Ganz so gut ging es nicht weiter, im Januar und Februar war dann nur noch teilweise geöffnet, weil es draußen auch mal kälter wurde. "Für uns läuft es immer dann gut, wenn es entweder milde zehn bis 15 Grad hat, oder wenn es richtig kalt und der See zugefroren ist: Dann kommen die Schlittschuhläufer und genießen den Tag", sagt Kuffler. In diesem Winter hatte der See keine Eisdecke. Die Bilanz ist deshalb durchwachsen: mehr Bier, weniger Glühwein.

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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