Wiesn-Reportage:Die Alm der Crème

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Wo Enten einen Psychologen zum Sterben haben, Besucher orangefarbene Bändchen zum Pinkeln brauchen und Schickeria-Miezen auf den Bänken tanzen - ein Abend in Michael Käfers Wiesnzelt.

Hermann Unterstöger

Der Abend in Käfers Wiesn-Schänke beginnt auf die denkbar schlechteste Weise. Es ist beiläufig 18 Uhr, man steht im Obergeschoss da, wo es vom Musikpodium zum Klo geht, und versucht den Überblick zu gewinnen, als man von einem Gast, der den Nachmittag ersichtlich genossen hat, aufs Heftigste angegangen wird.

Der Feinkost-Gastronom Michael Käfer und seine Ex-Frau Sabine im Käferzelt auf der Wiesn. (Foto: Foto: DPA)

"He, was verstellst'n da dauernd an Weg, he?", röhrt er und lehnt sich schräg an. Der Mann, gehobener Angestellter auf Freigang allem Anschein nach, ist voll wie die sprichwörtliche Haubitze, reagiert aber auf die der Situation angemessene Antwort - "Kusch, Trottl!" - mit einer Geste, die ihn letztlich doch als Habitué des Wiesngehens ausweist.

Er hebt beide Hände, als wolle er einen größeren Auflauf beschwichtigen, schnaubt kurz und trollt sich. Dafür endet der Abend drei Stunden später auf die denkbar beste Weise, indem man den Eindruck abspeichern kann, dass bei weitem nicht alle Leute, die sich bei Käfer die Zeit um die Ohren schlagen, Schickimickis oder sonst wie dubiose Existenzen sind.

Effenberg mit Lederhose, Käfer mit Piraten-Augenklappe

Wer gar nicht auf die Wiesn geht oder, wenn doch, nur zur kleinbürgerlich heimeligen Mittagswiesn, der ist, will er bei der Käfer-Schänke mitreden, auf Blätter wie die Abendzeitung und deren Kolumne "Leute" angewiesen. Darin erfährt er von Kindern, die das Event "Zwergerl-Wiesn" als "ein Muss" einschätzen, von Stefan Effenberg, der, "einziges modisches No-Go an ihm", zur Lederhose weiße Turnschuhe trägt, von Ottfried Fischer, der Lederhosen meidet, weil er dafür "zu feinfühlig" ist, von einem "Münchner Mega-Unternehmer", der es sich als Globetrotter nicht nehmen lässt, eine Zwölf-Liter-Schampus-Flasche mit dem Schwert zu öffnen, und natürlich von Hausherr Michael Käfer, dessen Hund Bomba, ein Magyar Vizsla, vom Wiedersehen mit dem Herrchen so erfreut war, dass er dessen rechtes Auge touchierte. Käfer trug tags danach eine Piraten-Augenklappe, woraufhin sich einige Gäste aus Solidarität Servietten ums Auge wanden.

Michael Käfers Auge ist mittlerweile wieder offen, und er nützt es, zusammen mit dem linken natürlich, auf zweifache Weise. Einerseits sieht er wie ein Häher auf alles, was sich in Küche und Schänke tut, andererseits ist sein Blickfeld daneben immer noch frei genug, um die angenehmen Dinge des Lebens wahrzunehmen.

Eben sitzt er bei dem CDU-Bundestagsabgeordneten Peter Rauen. Den hat sowohl persönliches Interesse als auch sein Job als Sportausschussvorsitzender zum Champions-League-Spiel der Bayern gegen Brügge geführt, ein Termin, den bei Käfer zu intonieren er für einen guten Griff hält.

Rauen erlabt sich am reich gemischten Nachspeisenpfandl und ist schon aus diesem Grund für harte Nachwahl-Statements nicht zu haben. Michael Käfer sticht sich aus dem Pfandl diese und jene Kleinigkeit heraus, schaut versonnen ins Hin und Her der Bedienungen und sagt plötzlich: "Alle Frauen sind im Dirndl schön."

Der Koch studiert Psychologie

Wäre man Klatschreporter von Geblüt, würde man sich da sofort daran erinnern, dass Käfer von seiner Gattin getrennt ist und gerade eine nicht sonderlich glückreiche Liaison überstanden hat; und wer weiß, wie man die lockere Bemerkung interpretieren würde.

Man ist aber keiner, und so kommt es an diesem Abend auch zu keinem Kontakt mit Gräfinnen, Society-Friseuren, Frauen von Zahnärzten, Charity-Ladies oder Trash-Show-Königinnen wie jener Kader Loth, die unter den Wiesn-Essentials nicht das geringste zu sein scheint. Dafür schleust einen Michael Käfer durch das wohlgeordnete Chaos der Küche, wo man auf einen Koch trifft, der im siebten Semester Psychologie studiert.

Käfer vertritt den Standpunkt, dass der Mann wie kein zweiter geeignet sei, den legendären Enten (25,80 Euro die Portion) auf ihrem letzten Gang beizustehen; schon aus diesem Grund hofft er, dass sich das Studium noch hinziehen möge. Geschäftsführerin Susanne Geimann biegt wieder einmal um die Ecke, wie sie überhaupt den Eindruck macht, als könne sie an allen Orten gleichzeitig sein. Sie stammt aus Hannover, bittet dem aber keine weitere Beachtung zu schenken.

"Prost, ihr Säcke! Prost, du Sack!"

Die Käfersche Alm ist ein Holzbauwerk, das seit 1972 von der Waldtruderinger Schreinerei Rauffer auf- und abgebaut wird. Heute ist die Belegschaft samt Geschäftsfreunden da und widmet sich dem Ratsch, dem Bier und diversen Braten.

Karl Rauffer, der Chef, erzählt aus Zeiten, da die Alm, die heute 3300 Gäste fasst, noch 64 Plätze hatte; im Parterre verzehrte man die Hendln, die ein Stockwerk höher gerupft wurden. Rauffer ist einer, der den Zauber alter Balken glaubwürdig zu vertreten weiß. Seine Frau Ursula hingegen trägt am Dekolleté einen rot-grün-blau blinkenden Anstecker und entspricht auch sonst Käfers Statement von Frauen in Dirndln auf idealtypische Weise.

Ein Pärchen aus der Belegschaft tanzt schon mal kurz auf der Bank, kurz deswegen, weil die Musik, wie überall auf der Wiesn, immer wieder zum Trinken auffordert. Im Ober- wie Untergeschoss gibt es dafür ein Ritual, an das sich beide Bands halten, oben Gary & Gerry, unten die Gruppe Dreirad. Wann immer "Ein Prosit der Gemütlichkeit" oder "Die Krüge hoch!" angemahnt wird, geht dem allgemeinen Umtrunk folgender Dialog zwischen Musik und Publikum voraus: "Prost, ihr Säcke! Prost, du Sack! Bitte, danke! Danke, bitte!"

Mittlerweile sind orangefarbene Bändchen ausgegeben worden, die man sich ums Handgelenk zu legen hat und ohne die man, wie der Ordnungsmann fast beschwörend sagt, nach einem Ausflug ins Freie nie mehr in die Schänke zurückkomme. Das Bändchen geht zuhause nur schwer herunter und kommt zu den Souvenirs, genauso wie der Bierdeckel mit dem älplerischen Liebespaar vorn drauf.

"Mit Dir wär's aa nach der Wies'n schee."

Seine Hinterseite entpuppt sich, ebenfalls erst zuhause, als ein "Flirt-Deckel", auf dem man Name und Telefonnummer hinterlassen sowie eines von drei Komplimenten ankreuzen hätte können. Das erste: "Mit Dir wär's aa nach der Wies'n schee." Das zweite: "Du bist der Wies'n-Hit 2005!" Und das dritte: "I bin total in Di verschoss'n."

Dank der Käferschen Fürsorge landet man am Ende bei Klaus H. Hölters von dem auf Mode-PR spezialisierten gleichnamigen Pressedienst. Hölters, auch körperlich eine höchst imposante Erscheinung, deutet wie weiland Polykrates auf seines Daches Zinnen in die Runde und sagt, dass er hier die Crème de la Crème der Modepresse zu Gast habe.

Die Damen und Herren halten gerade bei "Käfer's altem braunem Pflaumenschnaps" und sind drauf und dran, zu dem Stimmungslied "Und dann die Hände zum Himmel" die Bänke zu entern.

Mit von der Partie: Nasrin Degenring, die Tochter der Designerin Mahi Degenring. Sie ist zum ersten Mal auf der Wiesn und gedenkt beim nächsten Mal in Tracht zu kommen. Anders als Michael Käfer steht sie dem Dirndlgewand partiell kritisch gegenüber. "Manche Dirndltypen", sagt sie mit der Offenheit der Kölnerin, "sehen beschissen aus". Dann steigt sie auf die Bank, hebt die Hände zum Himmel und ist für nähere Erklärungen ihres harschen Urteils nicht mehr erreichbar.

© SZ vom 29.09.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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