Wiesn-Architektur:Die Wände zum Himmel

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Ein Blick hinter die Kulissen, die mehr als nur Kulisse sind: Auf den Türmen der Oktoberfestzelte harrten früher Brandwachen aus, heute dienen sie als Besprechungsräume, Toiletten und Bierlager.

Von Stephan Rumpf (Fotos) und Franziska Stadlmayer (Texte)

Der Kühle

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1926 hatte das Augustinerzelt erstmals einen Turm. Im Krieg brannte er ab und wurde erst 2010 nachgebaut. Da feierte das Oktoberfest sein 200-Jähriges, und die Augustinerfesthalle bekam dafür wieder einen originalgetreuen Turm. Der wird als Fasslager genutzt, denn während die anderen Zelte aus unterirdischen Standleitungen ausschenken, kommt das Bier bei Augustiner aus Holzfässern. Auf die 25 Meter Höhe verteilen sich vier Ebenen mit einer Holzfass-Kühlzelle im ersten Stock. Dort werden die Fässer auf Stangeneis gelagert. An die 55 Fässer mit je 200 Liter Fassungsvermögen passen in den Turm, ein Aufzug befördert sie nach unten. Der Aufzug dürfte eines der wenigen historisch nicht korrekten Elemente im Turm sein, denn von den ovalen Fenstern bis zu den traditionell hergestellten Holzfässern hält sich die Brauerei an die historischen Vorlagen. Dabei haben die Fässer teilweise mehr Wiesn-Erfahrung als der Turm: Manche sind seit 30 Jahren im Einsatz.

Der Beliebte

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Der Paulaner-Turm ist auf der Wiesn ein beliebter Sammelpunkt. Kein Wunder, mit stolzen 26 Metern und einem sich drehenden Bierkrug auf der Spitze ist er nicht zu übersehen. Die Armbrustschützengilde "Winzerer Fähndl" wollte so auf ihre Bierhalle aufmerksam machen. Wann genau, kann Johannes Rieger von der Brauerei nicht sagen, "aber es gibt den Turm seit über 100 Jahren". In den Fünfzigerjahren schwebte ein Ballon in Masskrug-Form über dem Turm, dann finanzierte die Brauerei das heutige Modell. Im ersten Stock sind die Toiletten für den Balkon untergebracht. Der Turm ist so geräumig, dass sowohl für Herren als auch für Damen genug Platz ist. Über den Toiletten zieht sich ein Gewirr aus Metallstreben durch den Turm, um die Konstruktion zu stabilisieren. Und ganz oben dreht sich der Bierkrug, angebracht an einem Mechanismus. Wer versuchen würde, den Krug zu füllen, könnte übrigens einige Besucher versorgen: Er fasst ganze 42 300 Liter.

Der Süße

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"Im Entwurf sah das Café wie ein Lebkuchenhaus aus", sagt Magnus Müller-Rischart. Mit den zwei runden Türmen und den vielen Verzierungen bezeichnet er sein Kaffeezelt nun aber lieber als Zuckerschloss. Seit zehn Jahren ist das Café Kaiserschmarrn auf der Wiesn und macht seinem Namen alle Ehre. Durch ein Fenster können Passanten zuschauen, wie im kleineren der beiden Türme Kaiserschmarrn zubereitet wird. Darüber ist die Solarthermie-Anlage untergebracht. Durch den Eingang im größeren Turm kommen die Gäste ins Zelt, zum Obergeschoss haben sie allerdings keinen Zutritt. "Wir haben einen Antrag auf eine bestuhlte Galerie gestellt", sagt Müller-Rischart, "aber das wurde leider abgelehnt." Deshalb dient das Turmzimmer mit der hölzernen Eckbank nun als Besprechungsraum. Es dürfte der Mitarbeiterraum mit der schönsten Aussicht der Wiesn sein: Durch die Fenster geht der Blick direkt auf die Bavaria.

Der Erste

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"Früher, da hatten die Türme noch eine Bedeutung", erinnert sich Festwirt Wiggerl Hagn. Als die Zelte noch nicht elektrisch geheizt wurden, saß dort oben ein Wächter und schlug Alarm, wenn ein Feuer ausbrach. Das Löwenbräu sei das erste Zelt mit Turm gewesen, da ist sich Hagn sicher: "Ich weiß aber nicht, seit wann genau." Im Innern des Turms sind Stromkästen untergebracht und vereinzelt einige Kisten, als richtiger Lagerraum wird er aber nicht genutzt. Die erste Ebene erreicht man über eine hölzerne Treppe, darüber zieht sich ein Gewirr aus Metallstreben bis zur Spitze, das den Turm stabilisiert. Ganz oben, in 33 Metern Höhe, thront der Löwe mit der Masskrug in der Pfote. "Früher hatte der Turm oben eine sich drehende Weltkugel", sagt Hagn. Die symbolisierte, dass Löwenbräu in die ganze Welt exportiere. Später fuhr zwei Jahre lang ein Löwe in Serpentinen die Weltkugel hinauf: "Die Bahn ging aber schnell kaputt." Seit gut zwölf Jahren bewacht nun der Löwe Turm und Zelt.

Der Kleinste

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Der Turm des Armbrustschützen-Zelts ist der kleinste der großen Wiesn-Zelte. "Das Zelt steht für Bodenständigkeit", sagt Michael Marcour von der Zelt- und Hallenbaufirma Pletschacher. Der Turm ist in die Fassade integriert, die an eine Burg erinnern soll. Im Turm selbst gibt es nicht viel zu sehen: ein paar Stromkästen und eine hölzerne Treppe ins nächste Zwischengeschoss. Aus Sicherheitsgründen könne man den Turm nicht für Besucher zugänglich zu machen, betont Marcour. Auch als Lagerfläche bietet er sich nicht an - zu viele Zwischengeschosse und Leitern. Konstruktion und Aufbau kosten viel Geld. "Vermutlich ist das der Grund, dass nicht mehr viele Zelte einen Turm haben", vermutet Marcour. Der Turm am Armbrustschützen-Zelt bestehe komplett aus Holz - und stehe seit gut 30 Jahren: "Der TÜV prüft ihn jedes Jahr auf morsche Stellen, die werden dann einzeln ausgetauscht."

© SZ vom 26.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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