Wiesn 2018:Ich sehe was, was du nicht siehst

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Sicherheitskonzept fürs Oktoberfest: Die Münchner Polizei setzt erstmals eigene "Super-Recogniser" ein. Solche Beamte können Gesichter in Menschenmassen besser wiedererkennen als jeder Computer

Von Martin Bernstein, München

Ein tiefer Blick in die Augen - auf der Wiesn muss das künftig nicht mehr unbedingt der Beginn eines Anbandelversuchs sein. Es könnte auch sein, dass einer der 37 "Super-Recogniser" des Polizeipräsidiums Fährte aufgenommen hat. Erstmals will die Polizei beim Oktoberfest nämlich probeweise Beamte einsetzen, die besondere Fähigkeiten beim Wiedererkennen von Gesichtern haben. Taschendiebe und andere Übeltäter, die im Gewühl unentdeckt bleiben wollen, haben es in Zukunft also noch schwerer. Denn die Beamten mit dem phänomenalen Gedächtnis sind nicht nur eine Alternative zur elektronischen Gesichtserkennungs-Software, wie sie die Polizei mit Hilfe des Landeskriminalamts ebenfalls einsetzt. Sie sind in manchen Fällen, bei Zugangskontrollen etwa oder wenn Menschen ihr Aussehen leicht verändert haben, schlichtweg besser. Hundert Mal besser.

Wissenschaftler der Universitäten Harvard und Greenwich hatten bereits vor knapp zehn Jahren herausgefunden, dass es solche Super-Recogniser gibt, die Londoner Polizei setzt sie seit sieben Jahren ein. Basierend auf diesen Erfahrungen probt nun auch die Münchner Polizei den Einsatz der Super-Recogniser. Sie sollen mit ihren Fähigkeiten zur Identifizierung oder bei der Zuordnung von Straftaten behilflich sein. Die Super-Recogniser sollen an den Eingängen zur Wiesn eingesetzt werden. Testpersonen sollen dort ausprobieren, wie zuverlässig die Spüraugen Menschen wiedererkennen. Außerdem werden die Beamten auch im Video-Kontrollraum sitzen und genau studieren, was die 47 Videokameras vom Oktoberfest zeigen.

Die Wiesn-Sicherheit hat man fest im Blick. (Foto: Imago)

Das sind heuer zehn Kameras mehr als 2017. Die Kosten für die Erweiterung betragen insgesamt etwa 200 000 Euro und werden vom Polizeipräsidium München übernommen. In einem Raum der Wiesnwache haben Beamte auf Bildschirmen das gesamte Wiesn-Areal im Auge, inklusive dem berühmt-berüchtigten Westhügel zur Schwanthalerhöhe, auf dem mancher Wiesnbesuch in Schlaf und Rausch endet. Auch deshalb hält man in München die Idee, mit Super-Recognisern auf dem Oktoberfest auf Verbrecherjagd zu gehen, für "vielversprechend".

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und Polizeipräsident Hubertus Andrä stellten die vier kombinierten "Bausteine" des Sicherheitskonzepts am Dienstag im Polizeipräsidium vor. Neben Kameras und Super-Recognisern setzt die Polizei in diesem Jahr auch 20 Streifenbeamte mit Body-Cams und eigene Messenger-Dienste auf Smartphones ein. "Die letztjährige wissenschaftliche Begleitung auf den Herbstvolksfesten in München, Rosenheim und Augsburg hat eindrucksvoll gezeigt, dass der Einsatz der Body-Cam speziell für Volksfeste von den Beteiligten als gutes Einsatzmittel bewertet wird", sagt Herrmann. "Die Akzeptanz bei den Beamten wie Festbesuchern ist hoch." An jedem Einsatztag werden bis zu zwei Einsatzgruppen mit Body-Cams auf dem Oktoberfest unterwegs sein. Gerade bei schwierigen Einsatzlagen seien die am Körper getragenen Kameras ein wichtiges Hilfsmittel, ergänzt Andrä - und verschweigt dabei nicht, dass der Abschreckungseffekt der Kameras in dem Maß sinkt, in dem der Alkoholpegel der Übeltäter steigt.

Super-Recogniser Elizabeth M. und Andreas H. mit Innenminister Joachim Herrmann (rechts). (Foto: Martin Bernstein)

Erste Erfahrungen haben die Münchner Super-Recogniser schon gesammelt. Vergangene Woche unterstützten sechs von ihnen die in Hamburg eingerichtete Sonderkommission "Schwarzer Block". Diese soll Straftaten aufarbeiten, die während des letztjährigen G-20-Gipfels begangen wurden und Straftäter beweissicher der Gerichtsbarkeit überstellen. "Die Unterstützung in Hamburg war als Test vereinbart worden, um Erkenntnisse zu gewinnen, ob und wie Super-Recogniser in solchen Ermittlungslagen erfolgreich eingebunden werden können", sagt Herrmann. Schon vor einem Jahr waren menschliche Gesichtsscanner auf dem Oktoberfest im Einsatz. Beamte der Londoner Metropolitan Police zeigten ihren Münchner Kollegen, was Super-Recogniser können. Sie begleiteten Taschendiebfahnder über die Wiesn und erkannten bei einem Test am Wiesn-Eingang zivil gekleidete Beamte wieder, die sich unter die Oktoberfest-Besucher gemischt und von denen sie zuvor nur Fotos gesehen hatten.

Die Münchner Polizei startete daraufhin einen internetbasierten Test für ihre eigenen Beamten. 5300 Polizisten und Angestellte des Präsidiums nahmen freiwillig daran teil, berichtete Polizeipräsident Andrä im Juni. Etwa jeder Vierte kam in die nächste Runde, nach der noch 90 Mitarbeiter übrig blieben. Diese Gruppe absolvierte im April eine mehrstündige Abschlussprüfung. Das Ergebnis: Das Polizeipräsidium hat jetzt 13 weibliche und 24 männliche Super-Recogniser. Zwei davon, Elizabeth M. und Andreas H., wurden am Dienstagmittag vorgestellt. "Ich habe mich über mich selbst gewundert", sagt der Polizeioberkommissar. Auch seine Kollegin ist erstaunt, dass sie die Fähigkeiten besitzt. Ihre Freunde eher weniger: "Die fanden das schon immer bemerkenswert, wie gut ich mich an Gesichter erinnern kann."

Auf der Wiesn wird man sie und ihre Kollegen sehen. Aber vor allem wird man von ihnen gesehen werden.

© SZ vom 29.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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