Wettbewerb in den USA:Vergänglich

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Schneekunst ist ein Knochenjob: Ihre Skulpturen arbeitet Franziska Agrawal aus meterhohen Blöcken heraus. (Foto: Carl Scofield / Breckenridge Tourism Office)

Franziska Agrawal schafft Kunstwerke aus Schnee

Von Martina Scherf, München

Schnee, was ist das? Kann sein, dass Kinder, die nicht gerade in Alaska oder Lappland aufwachsen, in Zukunft diese Fragen stellen. Doch noch gibt es ihn an ausgewählten Orten, und einige feiern ihn im Kampf um Aufmerksamkeit mit publikumswirksamen Aktionen. Schneekünstlerin Franziska Agrawal reist in den Wintermonaten von Festival zu Festival, um die weiße Pracht zu feiern - und Skulpturen zu schaffen, die nach ein paar Tagen wieder weggeschmolzen sind. Ein Spiel mit der Vergänglichkeit alles Irdischen.

Gerade ist die Münchnerin in Breckenridge, Colorado, wo am Sonntag das International Snow Festival zu Ende ging - und spürt den Klimawandel wieder einmal sehr deutlich. Der Ort liegt 3500 Meter über dem Meeresspiegel, "trotzdem sank das Thermometer tagsüber kaum unter Null. Das nervt", sagt Agrawal am Telefon. Denn dann muss sie zusehen, wie die Sonne das frisch geschaffene Werk annagt, bevor es überhaupt vollendet ist. "Wir haben uns Sonnenschilde gebaut, das hilft ein wenig beim Arbeiten", sagt die Chefin eines kleinen internationalen Teams, das sie für jedes Festival neu zusammenstellt und "Subzero" nennt - unter Null, das ist entscheidend für ihr Handwerk. Mehrere Tage schuften sie von früh bis spät in der Kälte, mit Schaufel, Spaten, Bohrer, Bügeleisen oder Kettensäge, um aus einem mehrere Kubikmeter großen und 20 Tonnen schweren Block passende Quader herauszuarbeiten, die sie aufeinander stapelt oder verschränkt. "Es geht mir um Statik, Volumen und Balance", sagt die 36-Jährige, "ich liebe diese minimalistische Ästhetik."

Die Frau mit Gespür für Schnee hat schon als Schülerin das erste Mal an einem Wettbewerb in Schweden teilgenommen. Seither hat sie das Spiel mit dem glitzernden Material, das hart wie Beton, weich wie Flaum oder zerbrechlich wie Glas sein kann, fasziniert. Die gebürtige Ulmerin hat Industriedesign studiert und arbeitet freiberuflich. Sie hat in New York gelebt und in Lima, von wo sie Fotoreportagen veröffentlichte - doch seit einigen Jahren ist sie jeden Winter im Schnee. Pontresina und Grindelwald, immer wieder China, Russland, Norwegen, Grönland, es kann gar nicht kalt genug sein, Entfernungen spielen keine Rolle. "Ja, ich friere, manchmal wird es tagsüber gar nicht hell, und es ist wirklich harte Arbeit", sagt die schlanke Frau, Tochter einer schwäbischen Mutter und eines indischen Vaters. "Ein paar Mal dachte ich schon, jetzt höre ich auf, aber dann hat mich die nächste Reise wieder gelockt."

Anders als viele ihrer Konkurrenten gestaltet Agrawal keine Fantasyfiguren oder romantische Reminiszenzen an die bedrohte Natur. Die Münchnerin bleibt bei ihrer klaren Formensprache und geometrischen Figuren: Kreise, rechte Winkel, klare Kanten. Ihre Werke dokumentiert sie, bevor sie dahinschmelzen, für spätere Fotoausstellungen.

Gewonnen hat sie den Wettbewerb in Breckenridge nicht, "aber ums Gewinnen geht es mir gar nicht", sagt Franziska Agrawal. "Es ist einfach schön, mit diesem Material zu arbeiten." Das reine Weiß, die Kristalle, die das Sonnenlicht reflektieren, die glatt geschliffenen Oberflächen, die schweren Quader, die zu schweben scheinen. Sie wird jetzt noch ein paar Tage in den Rocky Mountains bleiben und Skifahren gehen. Einfach mal über den Schnee gleiten, im Bewusstsein, "dass es vielleicht in ein paar Jahren schon an dieser Stelle keinen mehr gibt".

© SZ vom 03.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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