Weitere Briefe:Bei Denkmälern klotzen, bei Pflegegeld knausern

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Fantastische Milieustudien

Ich bin 1948 in Schwabing, Isabellastraße/Ecke Bauerstraße geboren, aufgewachsen und habe über 40 Jahre dort gelebt, bin immer noch häufig in München. In München hat sich Vieles verändert und sehr Vieles nicht zum Guten, wahrscheinlich wie überall, da hat Renate Pachneck mit ihrem Leserbrief " Thomas Mann hätt's verdient" (28. November; bezogen auf " Ein Denkmal für Helmut Dietl" vom 8. November) recht.

Dietl beleuchtet in seinen Filmen die späten 60-er, die 70-er und 80-er Jahre. In dieser Zeit hat es die, wie Pachneck formuliert, "absurd authentischen Darstellungen von München und seinen Bewohnern", die "sorglose Lässigkeit und Unbekümmertheit in der Lebensweise" tatsächlich gegeben, die sie mittels ihrer Formulierung ja bezweifelt. Er hat es meisterhaft verstanden, dieses Lebensgefühl aufzunehmen und zu fantastischen Milieustudien zu verarbeiten. Zugegeben, manchmal überspitzt und überzeichnet. Das ist ein legitimes Stilmittel beim Film.

Wenn die Verfasserin des Leserbriefes das als "absurderweise authentische Darstellung von München" bezeichnet, bedeutet das, dass sie das als (Verzeihung) "Zuagroaste" um 1985 nicht erlebt haben und es auch somit nicht nachvollziehen kann. Man konnte in den 70-ern zum Beispiel durchaus einen Bewohner des Glasscherbenviertels an der Sprache und seinem Habitus erkennen, ebenso einen Schlachthofviertler von einem Schwabinger unterscheiden.

Zum Denkmal: Früher wurden Fürsten, Geistliche, Könige und so weiter mittels eines Denkmals geehrt. Thomas Mann (den ich als großen Schriftsteller sehr schätze), hat sich im Großbürgertum, aus dem er stammt, bewegt. Dietl hat sich mehr ums "Kleinvieh" gekümmert, häufig äußerst sozialkritisch, augenzwinkernd und zum Schmunzeln bis zum Lachen anregend (man denke nur an die Opernkritik des Monaco Franze). In der Reihe der "Denkmäler von unten" (Weiß Ferdl, Karl Valentin, Liesl Karlstadt, Sigi Sommer, Helmut Fischer) nähme Dietl, mit oder ohne Zigarette, einen würdigen Platz ein. Thomas Mann wäre hier Fehlbesetzung. ( Hinweis der Redaktion: Für die Familie Mann - und damit auch für Thomas Mann - lässt die Stadt München gerade in der Nähe des Literaturhauses am Salvatorplatz eine Skulptur nach dem Entwurf des Münchner Künstlers Albert Coers erschaffen; es reicht dann also für Helmut Dietl und für Thomas Mann mit städtischen Denkmälern.) Helmut Schäfer-Achatz, Lenggries

Zynischer Spar-Modus

In der (oft) sehr langen Bearbeitungsdauer bei älteren/alten/behinderten Antragstellern spiegelt sich die mangelnde gesellschaftliche Wertschätzung nicht mehr leistungsfähiger Bürgerinnen und Bürger wider - als Diskriminierung (" Ärger um das Pflegegeld" vom 29. November). Das sind leider keine bedauerlichen Einzelfälle, sondern weitverbreitete Sachbearbeiterpraxis, insbesondere im Gesundheitsbereich.

Der Spar-Modus ("Antragsteller wird vermutlich bald sterben") durch Bearbeitungsverzögerung als Erfolgserlebnis rechnet sich nicht nur beim Pflegegeld. Schließlich werden Anträge derzeit noch von gestressten, überarbeiteten lebendigen Sachbearbeitern erledigt, und (noch) nicht von dauerfitten vorurteilsfreien Automaten oder Robotern. Annette Gümbel-Rohrbach, München

© SZ vom 09.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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