Was wurde aus ...:Über alle Berge

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Philipp Markgraf musste seine große Fahrradtour bereits im Iran beenden. Er wurde verprügelt, erwachte erst im Krankenhaus aus dem Koma. (Foto: Privat)

Philipp Markgraf, 29, lässt sich weder durch Überfälle noch durch seine schwere Krankheit beirren - nächstes Jahr will er bei einem Radrennen in der Höhe Kirgistans starten

Von Michael Bremmer

Kein Hadern mit dem Schicksal. Kein Jammern, dass das Leben ungerecht ist. Nicht einmal, als er am Kaspischen Meer verprügelt wurde und er nach einem dreifachen Bruch des Kiefer- und Wangenknochens erst in einem Krankenhaus in Teheran wieder zu sich kam, ärgerte sich Philipp Markgraf, 29, besonders. Dabei war sein Traum, nach Indien zu radeln, damit beendet.

Bei dem Münchner wurde Krebs diagnostiziert, als er 24 Jahre alt war. Keimzelltumor, eine Art Hodenkrebs, Lebenserwartung gering. Ein Jahr lang war er in Behandlung gewesen, Chemotherapie, Operationen - aber der Krebs war nicht verschwunden. Markgraf hatte eine weitere Chemotherapie verweigert und war dennoch am Leben geblieben.

Er begann, intensiv Rad zu fahren - und startete in diesem Frühjahr zu einem Fahrrad-Abenteuer. Zum einen wollte er die drei bekannten Hochgebirgsregionen im Himalaya befahren: die Pässe im Pamir-Gebirge, die Pässe im Karakorum-Gebirge und die Straßen durch Indiens rauen Norden Ladakh. Zum anderen wollte er in Kirgistan am Silk-Road-Mountain-Rennen teilnehmen, eine Strecke von 1 700 Kilometern bei 31 000 Höhenmetern, die es zu überwinden gilt.

"Unsere Lebenszeit ist nicht garantiert", schrieb Markgraf in sein Reisetagebuch. "Somit erfüllt mich diese Mission, mit dem Fahrrad über die Berge dieser Welt zu fahren, um den Menschen zu zeigen, dass Grenzen selbst gemacht sind und wir der Gestalter unseres eigenen Lebens sein können, selbst wenn eine Krebsdiagnose oder eine anderer Schicksalsschlag vermeintlich anderes behaupten." Auf seiner Instagram-Seite "pedalskillcancer" konnte man seine Reise verfolgen - über verschneite Alpenpässe, verregnete Berge in Kroatien, über Griechenland und die Türkei nach Iran. Bergpass für Bergpass kam Markgraf seinem Traum näher - doch dann wurde er überfallen und landete im Krankenhaus. Sein erster Gedanke, als er aus dem Koma erwachte? "Wann kann ich wieder radfahren." Keine Wut? Keinen Hass? "Seit dieser Krebsgeschichte", sagt Markgraf, "stelle ich diese Dinge nicht mehr in Frage." Ungerechtigkeiten, Schicksalsschläge - er stecke in derartige Überlegungen keine Energie rein, "ich kann die Dinge eh nicht ändern", sagt er.

Ein Jahr lang hatte Markgraf nach seiner Krebsdiagnose im Krankenhaus verbringen müssen. Er hatte sich damals viele Gedanken über den Tod gemacht, ihn akzeptierte, wir er sagte: "Wenn man in so einer Situation den Gedanken daran zulässt, dass das Leben mit jedem Tag vorbei sein kann, dann ergibt sich eine ganz andere Konsequenz für die Lebensweise."

Ende September 2019, nach überstandener Operation in Teheran, konnte er zumindest durch das Pamir-Gebirge in Tadschikistan fahren. Die ersten Tage seien hart gewesen, gibt Markgraf zu. "Ich hatte meine Unbefangenheit den Menschen gegenüber verloren", sagt er.

2020 will er erneut versuchen, das Silk-Road-Mountain-Race zu fahren, die Organisatoren haben ihm einen Startplatz geschenkt. Im August soll es losgehen, doch seine Ersparnisse sind aufgebraucht. So wird er bis zum Sommer durch Deutschland reisen, um Vorträge über sein Abenteuer zu halten. Er wird weiter mit der Münchner Filmproduktionsfirma Harger Moos an einer Dokumentation über seine Tour und sein Leben arbeiten. Und er wird alles dafür tun, um zu überleben. Noch immer ist der Krebs nicht zurückgekehrt. "Ich habe die Fünf-Jahres-Grenze ohne Rückfall überschritten", sagt er. Daher sei die Chance gut, dass es auch so bleiben werde. Aber: "Einmal Krebspatient, immer Krebspatient."

© SZ vom 31.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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