Warnstreik im öffentlichen Dienst:Demo statt Dienst

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150 Kitas und die Kfz-Zulassungsstelle bleiben zu - eine große Eskalation aber will die Gewerkschaft vermeiden

Von Günther Knoll und Melanie Staudinger

Ein Meer rot-weißer Verdi-Fahnen, der Lärm aus Hunderten von Trillerpfeifen, eine Menschenmenge am Stachus, die den Eingang zur Fußgängerzone versperrt. Dass gestreikt wird, fällt am Dienstag zwischen elf und zwölf Uhr hauptsächlich den Touristen in Münchens guter Stube auf. Doch dass an die 2500 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in München und der Region dem Aufruf der Gewerkschaft zu einem eintägigen Warnstreik gefolgt sind, das bekommen an diesem Tag etliche Münchner auch anderswo zu spüren. Die Kfz-Zulassungsstelle des Kreisverwaltungsreferats blieb geschlossen, mehr als 150 Kinderbetreuungseinrichtungen konnten wegen das Streiks nicht öffnen. Die Männer der Müllabfuhr und der Straßenreinigung erschienen ebenso wenig zur Arbeit wie die Angestellten der städtischen Kliniken, der Stadtentwässerung, der Abteilungen Straßen- und Gartenbau, der städtischen Bibliotheken, Bäder, Friedhöfe und der Sing- und Musikschule.

Der Münchner Verdi-Chef Heinrich Birner wirkt dann auch selbst ein wenig überrascht vom Ausmaß des Protestzugs, der sich von der Theresienhöhe durch die Schwanthalerstraße in Richtung Stachus bewegt. Mit so vielen habe er nicht gerechnet, sagt Birner, der an der Spitze des Zuges marschiert. Gleich hinter ihm ist viel Bewegung - die Verdi-Jugend München. Auf gelben Plakaten signalisieren die Teilnehmer "Gehaltbereitschaft". Sprechchöre, Kniebeugen, die Welle - doch die jungen Leute sind nicht da, um nur Klamauk zu machen. Das wird bei der Kundgebung am Stachus deutlich, wo zwei Auszubildende ihre Situation schildern: Der eine lernt bei den Stadtwerken und möchte gerne übernommen werden. Mit zehn Euro mehr Lohn, wie sie die Arbeitgeber anböten, könne er sich gerade zwei Döner leisten in einer Stadt wie München, sagt er, wo hier doch ein WG-Zimmer so viel Miete koste wie in seiner Heimatstadt eine Drei-Zimmer-Wohnung. Und trotzdem wollen er und seine jungen Kollegen in München bleiben. Viele von ihnen müssten aber zusätzlich zu ihrer Ausbildung noch jobben, erklärt eine Auszubildende bei den städtischen Kliniken. Allein das Lehrmaterial verschlinge hohe Summen. Zusätzlich zu einer um 100 Euro höheren Ausbildungsvergütung fordern die Lehrlinge eine Gleichstellung bei den Urlaubstagen.

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(Foto: Florian Peljak)

Am Dienstag zogen städtische Mitarbeiter bei der Streikkundgebung durch die Innenstadt und drückten ihren Unmut mitunter wortgewandt...

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(Foto: Florian Peljak)

...oder mithilfe von Rauchkerzen aus, wie in diesem Fall.

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(Foto: Florian Peljak)

Harter Tag für Eltern: Die Kita am Paul-Ehrlich-Weg in Allach war eine von 150 Einrichtungen, die am Dienstag geschlossen blieben.

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(Foto: Florian Peljak)

Auch wer am Dienstag sein Auto zulassen wollte, stand in der Eichstätter Straße vor verschlossenen Türen.

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(Foto: Florian Peljak)

Der Demonstrationszug startete am Hacker Pschorr Bräuhaus auf der Theresienhöhe.

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(Foto: Florian Peljak)

Die Plakate und Schilder der Streikenden changierten von wütend bis (selbst-)ironisch.

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(Foto: Florian Peljak)

Die Kundgebung am Dienstagvormittag auf dem Karlsplatz.

Allein 600 Mitarbeiter der Stadtwerke München sind beim Protestzug dabei und auch Männer der Abfallwirtschaftsbetriebe und der Straßenreinigung. Die tragen selbst gemalte Transparente mit Sprüchen wie "Starke Männer, starke Reinigung, schwaches Geld, Beleidigung". Uschi Hofmann, Verdi-Vorsitzende bei der Stadt, macht deutlich, worum es den 35 000 Beschäftigen geht: um eine soziale und faire Behandlung. "Weil wir das verdient haben. Uns ist es zu verdanken, dass das tägliche Zusammenleben von 1,5 Millionen Menschen in München so reibungsfrei funktioniert", sagt Hofmann unter dem Applaus der Protestierenden, die gut zwei Stunden bei Wind und Regen ausharren. Birner spricht von einem "eindrucksvollen" Streiktag. "Wenn die Arbeitgeber jetzt nicht begreifen, dass ihre Beschäftigten sich nicht mit Brosamen abspeisen lassen, dann tragen sie die Verantwortung, für jeden weiteren Streiktag. Sie haben jetzt die Chance, ein faires Lohnangebot vorzulegen und die Gegenforderung nach einer Eigenbeteiligung bei der betrieblichen Altersversorgung fallen zu lassen", so Birner.

Die Auswirkungen des Streiks treffen die Stadt München auch diesmal am härtesten. Und die Gewerkschaften machen kein Geheimnis daraus, dass das beabsichtigt ist. Heinrich Birner kann gleich mehrere Gründe dafür nennen. Zum einen residiert Thomas Böhle im Rathaus am Marienplatz. Der ist als Personalreferent nicht nur für die städtischen Mitarbeiter zuständig, Böhle ist auch Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) und damit Verhandlungsführer in der Tarifrunde. "Schon alleine deshalb sind wir in München besonders gefordert", sagt Birner.

Dass die bayerische Landeshauptstadt von Zeit zu Zeit zur Streikhochburg mutiert, hat im öffentlichen Dienst aber auch einen strukturellen Grund. Stadtwerke, Kitas, Abfallwirtschaft - die Stadt hat viele Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge in ihrer Zuständigkeit behalten, die andere Kommunen längst privatisiert haben. Damit gibt es mehr Mitarbeiter, die die Gewerkschaften zum Streik aufrufen können. Und die Münchner sind in der Regel auch enttäuschter, wenn sie auf ihre Gehaltszettel blicken, als ihre Kollegen in günstigeren Regionen Deutschlands. Hohe Mieten, teure Lebenshaltungskosten - da bleibt gerade in den unteren Lohnklassen nicht mehr viel übrig vom Einkommen. "Eine Mieterhöhung in München frisst gleich drei Lohnerhöhungen auf", sagt Birner. Deshalb wolle Verdi München sich nach Abschluss dieser Tarifverhandlungen auch für eine sogenannte Öffnungsklausel einsetzen. In teuren Regionen soll es dann möglich sein, betriebliche Zulagen zu zahlen, die über den jetzigen München-Bonus der Stadt von 120 Euro hinausgehen. 1500 Euro netto seien in München schlicht viel weniger wert als etwa in Mecklenburg-Vorpommern. "Das bewegt unsere Mitglieder", sagt der Verdi-Chef. Und lasse ihre Aktionsbereitschaft steigen.

Und dennoch: So heftig wie im vergangenen Jahr werde es diesmal nicht werden, schätzt Birner. 17 Tage am Stück blieben die Kindertagesstätten geschlossen, als Erzieherinnen, Sozialpädagogen und Kinderpfleger im Frühjahr 2015 für eine Aufwertung ihrer Berufsstände kämpften. "Damals standen wir vor einer anderen Situation", sagt Birner. Die Arbeitgeber hätten sich auf keine Diskussionen eingelassen. Man habe "in die Vollen gehen müssen, um den notwendigen Druck aufzubauen". Nun befinde man sich in einer "ganz normalen Lohnrunde". Das Angebot der Arbeitgeber - drei Prozent mehr Gehalt auf zwei Jahre - ist aus Sicht der Gewerkschaft zwar zu niedrig, stelle aber eine verhandelbare Grundlage dar. "Ich gehe nicht davon aus, dass wir dieses Mal einen Durchsetzungsstreik brauchen", sagt Birner, der mit Verdi ein Lohnplus von sechs Prozent fordert.

© SZ vom 27.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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