Wahlkampf:Selfies mit dem Kanzlerkandidaten

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Sommerfest der SPD-Fraktion: Martin Schulz lobt Kommunalpolitiker als Helden der Politik, redet über Mietpreisbremsen und Investitionen für den Wohnungsbau. Beim Thema Diesel-Fahrverbote fühlt er sich ein wenig falsch verstanden

Von Heiner Effern und Dominik Hutter, München

Als Erstes will der Kandidat eine Runde drehen. "Ich war noch nie in meinem Leben im Nymphenburger Park", sagt Martin Schulz, und so bewegt sich der ganze Tross in Richtung des französischen Gartenparterres mit direktem Blick auf das Schloss. Immer mit dabei: Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der zusammen mit dem Kanzlerkandidaten beim Sommerfest der SPD-Stadtratsfraktion eingetrudelt ist. Man gibt sich kumpelhaft und locker, plaudert über den gemeinsamen Besuch beim Münchner Technologiezentrum. Ein Elektroauto hat besonders Eindruck gemacht. "Die filtern die Innenluft mit Moos", staunt Reiter.

So bleibt die Luft sauber, ein Thema, das den OB angesichts der hohen Stickstoffdioxidwerte gerade enorm drückt. Mit mittlerer Begeisterung dürfte er also vernommen haben, dass Schulz am Vormittag bei einem Besuch bei Audi sich noch gegen Dieselfahrverbote ausgesprochen hatte. Diese hatte Reiter erst kürzlich vehement gefordert. Ein offener Konflikt am Sommerfest also? Keineswegs, während des gemeinsam verbrachten Nachmittags löst sich der Dieseldissens in Luft auf. Er sei da ein wenig falsch verstanden worden, sagt Schulz im grünen Park, es sei um den Dieselmotor ganz allgemein gegangen, und er habe sich mit den Worten auch gar nicht auf München bezogen. Alles gut also. Diesen warmen Sommerabend bei der "wichtigsten Stadtregierung Deutschlands" kann so leicht nichts trüben. Gleich nach dem großen München, so frotzelt Schulz, kommt dann allerdings das heimatliche Würselen.

Der SPD-Chef fühlte sich ganz zu Hause. "Ich bin einer von euch", schmeichelt er, und dass die Kommunalpolitik den Ernstfall der Politik darstellt. "Kommunalpolitiker sind die eigentlichen Helden der Politik." Schulz war einst selbst ein solcher Held, daheim in Würselen, einer Stadt mit 40 000 Einwohnern. Da war der spätere Europapolitiker elf Jahre lang Bürgermeister. Das prägt. Auch wenn Schulz, wie er sagt, sich nie darauf eingelassen hätte, wenn er vorher gewusst hätte, was ihn erwartet. Reiter nickt dazu wissend.

Eigentlich sollte der Stargast klammheimlich auf das alljährliche Sommerfest im Palmenhaus kommen. Aber die Landesebene der SPD konnte nicht dichthalten, wer da bei Wein und Häppchen aufkreuzen soll - die Stadträte raunen ein wenig abfällig über eine solche Geschwätzigkeit. Und so herrscht plötzlich ein ziemlicher Journalistenandrang auf der Veranstaltung, die doch eigentlich eher gemütlich geplant war. Dass Schulz vorbeischaut, ist freilich reiner Zufall, die Termine passten einfach perfekt zusammen: Nach dem Besuch bei Audi und dem Feuerwehrfest in Kösching bot sich eine Visite bei den Münchner Genossen geradezu an. Zuerst ging es zu den Erfindern des Elektroautos, das nicht nur mit Moos die Luft filtert, sondern auch mit Solarzellen fahren kann und keine 20 000 Euro kosten soll, wenn es auf den Markt kommt. Da kam zur Entspannung das seit Monaten fix geplante Sommerfest gerade recht. Und der Veranstalter, Fraktionschef Alexander Reissl, sagte gerne zu.

Reiter, nicht ganz uneigennützig, wäre froh, wenn ein früherer Bürgermeister Bundeskanzler wird. Tatsächlich hat Schulz einige Ideen für Kommunen im Gepäck, ein großes Investitionsprogramm für den Wohnungsbau etwa oder eine verbesserte Mietpreisbremse, die dann auch wirklich greift. Komplett absurd findet der SPD-Chef das Tabu für den Bund, kommunale Projekte wie Schulen mitzufinanzieren, das sogenannte Kooperationsverbot. "Das versteht kein Mensch", schimpft er. Und: "Diese ewige Kompetenzdebatte geht mir auf den Geist." Entscheidend sei nur: Wenn es hineinregnet, muss der Schaden beseitigt werden.

Das Bad in der Menge fällt dann eher kurz aus. Ein kleines Gespräch mit dem IHK-Hauptgeschäftsführer Peter Driessen, ein Gruppenbild mit mehreren Damen der SPD-Stadtratsfraktion. Überhaupt sind Selfies mit dem Kanzlerkandidaten stärker gefragt als der Austausch mit Worten. Auch die frühere Bürgermeisterin Gertraud Burkert will mit dem Helden der Partei aufs Foto, damit der Gatte zu Hause weiß, wo sie sich herumtreibt und wen sie da so trifft. Schulz lächelt artig und routiniert in jede Kamera, die ihm vors Gesicht gehalten wird.

Und dann plötzlich sitzt der Kanzlerkandidat ganz alleine da, hat Zeit, am weiß gedeckten Tisch eine Gebäckstange zu essen. Die Fernsehteams umlagern derweil Reiter, der den Schulz-Wahlkampf lobt, aber auch zu verstehen gibt, dass der Kandidat in der Schlussphase durchaus noch eine Schippe drauflegen darf. Nach einer guten Stunde macht sich Schulz, der von einem Tross an Sicherheitskräften begleitet wird, auf den Weg zur Schlosswirtschaft Schwaige, wo noch ein Hintergrundgespräch auf ihn wartet. Kandidatentage sind lang. Er geht zu Fuß. Ohnehin ist der Palmengarten nicht auf größere Fahrzeugkolonnen ausgelegt. Die SPD hat nur für ein Auto eine Zufahrtserlaubnis erhalten.

© SZ vom 11.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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