Wahlkampagne:"Ältere haben fast keine Lobby"

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"Gemeinsam an einem Strang" (v.li.): Arge-Sprecherin Andrea Betz, Anne Hübner (SPD), Marion Ivakko (BRK), Manuel Pretzl (CSU), Charlotte Knobloch (Israelitische Kultusgemeinde) und Katrin Habenschaden (Grüne). (Foto: Robert Haas)

Wohlfahrtsverbände und Politiker sind sich einig, mehr für Senioren tun zu wollen

Von Thomas Anlauf

München tut viel für die alten Menschen in der Stadt. Doch nicht immer kommt die Hilfe auch an. Denn viele Rentner leben allein und zurückgezogen, andere können die Angebote gar nicht nutzen, weil ihnen selbst bei Vergünstigungen schlicht das Geld fehlt. Erst vor einer Woche hatte der Sozialausschuss im Stadtrat eine Beschlussvorlage des Sozialreferats nachgebessert: Demnach erhalten jetzt alle Senioren, die monatlich weniger als 1350 Euro zur Verfügung haben, viermal im Monat eine kostenlose Putz- und Haushaltshilfe. Ursprünglich war lediglich ein Zuschuss geplant. Für die sechs Münchner Wohlfahrtsverbände ist es deshalb wichtig, dass in sozialen Fragen "Politik, Verwaltung und Wohlfahrtsverbände an einem Strang ziehen sollten", wie Andrea Betz zum Auftakt der Kommunalwahlkampagne "Weil alle Menschen zählen - sozial wählen" sagte. Die Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der Verbände (Arge) will in den kommenden Monaten bei Fachgesprächen Münchner Spitzenpolitiker und Oberbürgermeisterkandidaten zu sozialen Themen befragen.

Das Thema "Älter werden in München" hatte sich zum Auftakt der Kampagne Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, gewünscht. Denn sie findet: Senioren hätten "fast keinen Stellenwert, Ältere haben fast keine Lobby in der Stadt". Es liege weniger an der Kommunalpolitik, sondern vor allem an der Bundespolitik, dass Altersarmut ein so großes Thema in der Gesellschaft sei. Zum anderen seien Familien heute oftmals nicht mehr in der Lage, Eltern oder Großeltern so zu unterstützen wie früher, meint Knobloch. SPD-Stadträtin Anne Hübner sagte deshalb: "Die Politik aus dem Rathaus kann nicht alles leisten", es brauche auch ein Stück weit Engagement und freiwilligen Einsatz aus der Münchner Bevölkerung, um ältere Menschen zu unterstützen.

Das könne ein von einer Nachbarschaftshilfe gemeinschaftlich organisierter Fahrdienst sein oder einfach ein Blick darauf, ob man der älteren Nachbarin nicht beim Einkauf helfen könnte. "Das Problem ist, dass viele ältere Menschen die Angebote gar nicht kennen und nicht alle möchten oder können in die Sozialbürgerhäuser gehen", sagte die Grünen-Stadträtin und Oberbürgermeisterkandidatin Katrin Habenschaden. "Aber auch die müssen wir erreichen." Dafür müssten sich auch die Sozialbürgerhäuser und die Alten- und Servicezentren in München noch mehr in die Stadtviertel hinein öffnen. Gerade in den Sozialbürgerhäusern müsse das Personal und die Ausstattung deutlich aufgestockt werden. "Da gehen wir in zu kleinen Schritten voran", sagte Habenschaden mit Blick auf die derzeitige Stadtratskoalition von CSU und SPD.

CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl hingegen glaubt, "dass wir mit unseren Hilfen sehr viele Menschen erreichen". Auch der Konsens, dass älteren Münchnern noch stärker geholfen werden sollte, sei parteiübergreifend gegeben. Marion Ivakko, stellvertretende Geschäftsführerin des BRK-Kreisverbands München, findet hingegen, dass der Zugang zu den zahlreichen Hilfen "für Senioren noch transparenter werden muss". Marion Ivakko ist aber auch ein großes Anliegen, dass alltägliche Hürden für ältere Münchner abgebaut werden. Das können ausreichend öffentliche Toiletten sein, aber auch die Frage, wie schnell eine Rolltreppe fährt, damit ein Mensch, der nicht so gut zu Fuß ist, sie überhaupt benutzen kann.

Für die Arge-Sprecherin Andrea Betz ist es wichtig, dass die Münchner Sozialpolitik nicht nur im Seniorenbereich "weiter ein großes Gewicht hat". Sozialer Frieden in München könne es nur geben, "wenn sich alle Menschen in unserer Stadt zugehörig fühlen". Das gelte für Senioren ebenso wie für junge Münchner, für Menschen mit Migrationshintergrund wie für Wohnungslose. Doch besonders Ältere sind von Armut betroffen. Laut dem Armutsbericht lebt jede vierte Person, die älter als 65 Jahre ist, in München derzeit unterhalb der Armutsschwelle. In 15 Jahren könnten Schätzungen zufolge zwischen 36 und 52 Prozent betroffen sein.

© SZ vom 27.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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