Wahlforschung:Die Super-Prognose

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Geringe Irrtumswahrscheinlichkeit: Wahlforscher Andreas Graefe. (Foto: Robert Haas)

Andreas Graefe erwartet einen knappen Sieg für Hillary Clinton. Er baut auf den Durchschnittswert, den seine Plattform PollyVote aus anderen Vorhersagen berechnet

Von Christoph Koopmann, München

Hillary Clinton oder Donald Trump? Die meisten Umfragen sehen zwar die demokratische Kandidatin vor ihrem republikanischen Kontrahenten, doch immer wieder verändern sich die erwarteten Stimmanteile. Trumps Locker-Room-Talk-Video, Clintons geleakte E-Mails - immer neue Enthüllungen über die Kandidaten lassen offenbar die Wähler schwanken. Welcher Prognose also glauben? Ein Münchner Wahlforscher glaubt, die Antwort gefunden zu haben: allen.

Gemeinsam mit anderen Fachleuten für Wahlforschung leitet der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Andreas Graefe, 37, die Plattform PollyVote. Seit 2004 gibt es dieses Projekt. Das Ziel: Wahlausgänge zuverlässiger zu prognostizieren als herkömmliche Vorhersagen. Graefe stieß 2007 zum PollyVote-Team und ist mittlerweile dessen Leiter. Der gebürtige Deggendorfer war von 2011 bis Oktober dieses Jahres an der Ludwig-Maximilians-Universität München tätig. Mittlerweile ist er Professor für "Customer Relationship Management" an der privaten Hochschule Macromedia in München und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der renommierten Columbia University in den USA.

Auf den ersten Blick sehen die beiden Zick-Zack-Kurven auf pollyvote.com aus wie jede andere Wahlprognose auch. Doch weit gefehlt. Das Prinzip ist einfach: "Wir kombinieren verschiedene Vorhersage-Methoden, die ihrerseits auf verschiedenen Indikatoren basieren", erklärt Graefe. In der Gesamtschau sollen sie dann ein vielschichtig fundiertes Bild davon ergeben, wie die Präsidentschaftswahl ausgeht. Dieses System lässt sich nicht nur bei Wahlen anwenden: Graefe hat auch für den Pay-TV-Sender Sky ein Modell entwickelt, mit dem sich der Personalbedarf des Unternehmens langfristig voraussagen lässt. "Unsere Methode kann man problemlos auf viele verschiedene betriebs- und volkswirtschaftlichen Belange anwenden", sagt er.

Bei den US-Wahlen 2004 wurde das kombinierte Verfahren erstmals erprobt und seither bei jeder Präsidentschaftswahl in den USA angewandt - mit Erfolg: "Bis jetzt lagen wir an keinem einzigen Tag mit unserer Tendenz daneben", sagt Graefe. Über die letzten hundert Tage vor der jeweiligen Wahl liege die PollyVote-Prognose durchschnittlich einen Prozentpunkt neben dem tatsächlichen Wahlausgang, so Graefe. Die Ergebnisse klassischer Umfragen wichen dagegen um zwei bis fünf Prozent ab. Irrtumswahrscheinlichkeit nennen das Statistiker. Dass diese bei PollyVote so gering ist, liege an der Kombination der verschiedenen anderen Vorhersagen. Jede Methode hat ihre Tücken, die nur im Zusammenspiel überwunden werden können. So liege das Problem der herkömmlichen Umfrage in der Fragestellung, erklärt Graefe: Für wen würden Sie stimmen, wenn jetzt Wahl wäre? So erfahren die Forscher lediglich etwas über die Wahlabsicht des Befragten. Aber ändern die Wähler so oft ihre Meinung, dass dies die instabilen Umfragewerte erklären würde? Nein, sagt Graefe: "Die Befragten schwanken eher nicht zwischen den Kandidaten. Was sich ändert, ist lediglich die Bereitschaft, überhaupt an Umfragen teilzunehmen." Dementsprechend werde auch das Ergebnis der Umfrage verfälscht. Stattdessen müsste man fragen: Wer gewinnt die Wahl? Dies sei die zuverlässigste Methode der Vorhersage, behauptet Andreas Graefe.

Zudem befragen die Forscher Experten aus Politikwissenschaft und Prognoseforschung. Außerdem werten sie die Quoten in Wettbörsen aus. Hinzu kommen sogenannte "ökonometrische" Erklärungen. Mit denen wird überprüft, wie gut eine Regierung volkswirtschaftlich gearbeitet hat, und wie wahrscheinlich es dementsprechend ist, dass die Regierungspartei wiedergewählt wird. Dabei werden jedoch die Kandidaten und ihre Kampagnen nicht beachtet. "Das ist gerade bei einer derart personenbezogenen Wahl wie in diesem Jahr ein Problem", erklärt Graefe. Deswegen werden diesmal Vorhersagen, die sich auf diese Aspekte beziehen, mit eingerechnet. Am Ende berechnen die PollyVote-Forscher aus den Ergebnissen aller einbezogenen Prognosen einen einfachen Durchschnittswert - den Wert, den PollyVote als Vorhersage ausgibt.

Auch in Deutschland wurde das System schon getestet, bei der Bundestagswahl 2013, und auch da erwies sich PollyVote als sehr zuverlässig. Einziges Problem: "Durch die vielen Parteien und die Fünf-Prozent-Hürde ist es hier schwieriger, die endgültige Sitzverteilung im Bundestag zu prognostizieren", sagt Graefe. So lag die FDP 2013 in der Vorhersage stets bei knapp mehr als fünf Prozent der Stimmen, weswegen das vorhergesagte Wahlergebnis am Ende falsch war. Bei der Wahl im Herbst soll die Prognose zuverlässiger sein.

Doch zuerst steht die US-Wahl an. Wer gewinnt denn nun? "Clinton wird bei 52 bis 52,5 Prozent der Stimmen landen", sagt Graefe.

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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