"Wagners Welten" im Stadtmuseum:Walküren satt

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Eine Ausstellung im Münchner Stadtmuseum zeigt "Wagners Welten" - schön auf zwei Etagen zusammengeschnurrt, aber überhaupt nicht putzig. Von Hermann Unterstöger

HERMANN UNTERSTÖGER

Natürlich bedürfte es für eine Ausstellung, die sich mit Richard Wagner auseinander setzt, keines äußeren Anlasses, dazu sind Werk und Wirkung zu gegenwärtig, zu an- und aufregend. Nichtsdestoweniger putzt es auch so eine Veranstaltung, wenn sie mit einem Zeitbezug neugierig machen kann, und noch besser ist es, wenn der Bezug über die notorischen runden Daten auf nachdenken machende Weise hinausgeht.

Mit Wotans Macht schmeckt auch der Fleisch Extract: Liebig Sammelbild von 1906 (Foto: © Münchner Stadtmuseum)

Im Münchner Stadtmuseum wird heute die Ausstellung "Wagners Welten" eröffnet, und wenn sich je eine Ausstellung auf ein krauses Datum stützte, dann sie. Vor 70 Jahren erschien in den Münchner Neuesten Nachrichten ein Aufruf, in dem sich die "Richard-Wagner-Stadt München" gegen Thomas Mann und seinen Essay "Leiden und Größe Richard Wagners" verwahrte. Der Text ist von einer Bombastik, die etwas Komisches hätte, wäre sie nicht Ausdruck dessen, was sich bald grausig austoben sollte. Das heißt: Komisch ist es nach wie vor, wenn man liest, dass einer wie Mann "kein Recht auf Kritik wertbeständiger deutscher Geistesriesen" habe. Den Protest unterzeichneten Geistesriesen wie Gulbransson, Knappertsbusch und Pfitzner. Mann, der auf das Pamphlet hin nicht nach München zurückkehrte, hatte den Aufsatz zu Wagners 50. Todestag verfasst, so dass jetzt dessen 120. Todestag zu Buche schlägt; flankierend ist heranzuziehen, dass auch Wagner aus der Wagnerstadt vertrieben worden war, das allerdings vor unrunden 138 Jahren.

Thomas Mann und Richard Wagner, das war eine lebenslang durchfeierte und durchlittene Symbiose, und man kann sagen, dass ohne den Wagnerschen Dopingzauber Manns Werk nicht so geworden wäre, wie es wurde. Aus dieser Konstellation hat man den Faden gewonnen, an dem sich die Ausstellung aufreiht. Jürgen Kolbe, vormals Münchner Kulturreferent, hatte die Idee, sich der Mitwirkung Thomas Manns zu versichern, ihn als Cicerone Wagners Kosmos Schritt für Schritt deuten zu lassen. An Material hat es da ja keinen Mangel, und dass dies Material von der besten Sorte ist, darauf weist Kolbe selbst im Vorwort des Katalogs hin, wo er die "zauberischen Inversionen" jenes berühmten Satzes würdigt, mit dem Mann seinerzeit anhub: "Leidend und groß, wie das Jahrhundert, dessen vollkommener Ausdruck sie ist, das neunzehnte, steht die geistige Gestalt Richard Wagners mir vor Augen." Ein sympathisches Konzept, das freilich nicht ohne Risiko ist: Der Katalog sieht streckenweise wie ein Kompendium Mannscher Bonmots aus, und das, obwohl Mann im Literaturverzeichnis als einziger fehlt.

Wagners Welt ist im Stadtmuseum auf zwei Etagen zusammengeschnurrt, was nicht bedeutet, dass man etwas Putziges vorgesetzt bekäme. An die 600 Exponate stehen für Größe und Weitläufigkeit des Sujets, und damit man sich in so viel Weitläufigkeit nicht verliert, haben die Ausstellungsmacher Norbert Götz, Max Oppel und Manfred Wegner den Reichtum auf achtzehn Räume verteilt. Apropos Reichtum: Ob die Stadt wohl weiß, was sie an ihrem Museum hat, und das auch finanziell auszudrücken versteht? Möglicherweise hapert es da, denn Direktor Wolfgang Till kann sich den Hinweis nicht verkneifen, dass man von Wagner lernen könne, ein "Unternehmen mit permanenter Sorge ums Geld erst richtig spannend werden zu lassen".

So, wie Popkonzerte mit dem Geplänkel von Vorgruppen beginnen, geht man hier zuerst durch die Schattenwelt der Kunstindustrie, die ein Phänomen dieses Schlages nicht ungeschoren lassen konnte. Das Sortiment reicht von Gipsabgüssen der Zumbusch-Büsten Wagners und Ludwigs II. über eine für Liebig's Fleisch-Extrakt werbende Wagnerserie bis zu der Postkarte, auf der Siegfried, sichtlich benommen, zu den Rheintöchtern hinabschaut. Darunter handschriftlich: "Die herzlichsten Grüße u. Küße sendet Dein Karl", wobei Karl die "Küße" fast fordernd unterstrichen hat.

Dass die Schau die Münchner Aspekte herausstreicht, ist legitim, zumal da sie das Universale an Wagner darüber nicht aus dem Auge verliert. Die selbst ernannte Richard-Wagner-Stadt - wenn auch nicht sie allein - war zweifellos ein Hort dessen, was Mann als "höhlenbärenmäßige Deutschtümelei" bezeichnete, und anders als sie erkannte er auch, dass Wagners Werk "die genaue geistige Vorform der ,metapolitischen' Bewegung ist, die heute den Schrecken der Welt bildet"; er schrieb das 1939 und sagte gleich dazu, dass er trotzdem bei jedem Klang, der ihm zufliege, erschüttert aufhorche.

Ohne Ludwig II. lässt sich der Blick auf Wagner klarerweise nicht organisieren. Hunderte Briefe, Gedichte und Telegramme schrieben sie sich, und die Emphase, mit der sie einander zupuderten, ist selbst im zeitlichen Abstand noch einigermaßen peinlich: "Denn nun ist mein König mir die Welt: Er ist mir alles, was ich liebe!" Thomas Mann dazu: "Erbärmlicher Kitsch." Die beiden sahen das anders. Ludwig hatte für Wagners Briefe eine Brieftasche aus blauem Seidensamt, worauf ein silbergestickter Schwan mit Goldkrone schwimmt und schaut, wie solche Schwäne oft schauen: leicht gaga. Ludwig besaß übrigens einen Prunkschrank, worin er Wagners Originalpartituren hütete. Die Kostbarkeiten kamen 1939 über die Industrie als Geburtstagsgeschenk an Hitler. Seit Kriegsende sind sie verschollen, und es hat etwas Gespenstisches, sich vorzustellen, dass und wie sie mit ihrem kränksten Liebhaber dem Verderben anheim fielen.

Eine andere Partitur, die der "Meistersinger", hatte ein günstigeres Schicksal. Ludwig bekam sie von Wagner zu Weihnachten 1867 geschenkt, und 1902 gab Prinzregent Luitpold sie ans Germanische Nationalmuseum, das damals sein 50-jähriges Bestehen feierte. Sie ist die jedenfalls wertvollste Leihgabe.

Bis 25. Januar 2004, Katalog 28 Euro.

© SZ v. 17.10.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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