Wachstum:Stein auf Stein

Lesezeit: 4 min

In Poing im Münchner Osten ist Wachstum schon lange Programm. Seit knapp zwei Jahren laufen die Arbeiten im neuen Wohngebiet "Seewinkel". (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Viele Kommunen in der Region reagieren auf das Bevölkerungswachstum und weisen große Baugebiete aus - doch es gibt auch Gemeinden, die da nicht mitmachen wollen

Die vergessene Stadt

Im Landkreis Erding untersucht der IVD immer nur die Kreisstadt. Dabei gibt es noch eine zweite Stadt: Dorfen im Isental. Die 14 000-Einwohner-Kommune liegt zwar 50 Kilometer von München entfernt, aber schon heute fahren mehr als 3000 Pendler täglich mit dem Zug in die Landeshauptstadt. Ende 2019 wird die Autobahn A 94 fertig sein, was die Stadt noch einmal näher an München heranrückt. Im Dorfener Rathaus rechnet man mit einem starken Einwohnerwachstum. Der Stadtrat hat reichlich neue Baugebiete im Blick, wie eh und je aber vor allem fürs Einfamilienhausglück. Die in Dorfen ansässigen Immobilienunternehmer scharren mit den Hufen. Aktuell werden aber auch vermehrt Etagenwohnungen gebaut und die Innenstadt verdichtet. Die Preise ziehen an, Baugrund kostet mehr als doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Aus Münchner Sicht aber immer noch Schnäppchenpreise.

Bauboom an der S-Bahn

Das größte Baugebiet im Landkreis Dachau liegt an der Münchner Grenze. Der Prinzenpark in Karlsfeld mit 500 Wohneinheiten ist fast fertig. An diesem Donnerstag eröffnet Karlsfeld zudem seine Neue Mitte und kann nun kaum noch wachsen. Insgesamt 43 Hektar Bauland hat die 6500-Einwohner-Gemeinde Röhrmoos ausgewiesen, fünf Hektar sollen in der Ortsmitte bebaut werden, auf 38 Hektar will das Franziskuswerk Schönbrunn eine Art riesiges Inklusionsdorf bauen. Auch Markt Indersdorf im nördlichen Landkreis reagiert auf den Siedlungsdruck. Die Gemeinde wies in dieser Woche neue Flächen an der S-Bahn aus. Die erst Ende 2014 elektrifizierte Linie S2 nach Altomünster erweist sich als Baubeschleuniger. Die Stadt Dachau verfügt zudem über eine der wahrscheinlich attraktivsten Bauflächen der gesamten Metropolregion: 17 Hektar ehemaliges Industriegelände in Innenstadtlage. Die Diskussionen um dessen Zukunft dauern seit 2007 an, Entschlüsse sind nicht in Sicht.

Wachstum im Eiltempo

Der Landkreis Ebersberg ist Rekordhalter in der Disziplin Wachstum: Laut Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum soll die Bevölkerung bis Mitte der 2030er Jahre um 20 000 auf dann 158 000 steigen - kein anderer bayerischer Landkreis wächst so schnell. Einziehen werden die vielen Neubürger wohl in viele Neubauten, etwa in Vaterstetten: Bis zu 1500 Einwohner könnten von 2017 an am nördlichen Ortsrand wohnen, Vaterstetten wird so um mehr als sechs Prozent wachsen. In der aktuell 15 000 Einwohner zählenden Nachbargemeinde Poing ist stetiges Wachstum seit den Siebzigerjahren Programm: Damals hatte der Planungsverband die Gemeinde zum "Siedlungsschwerpunkt im Verdichtungsraum München" erklärt, um den Siedlungsdruck aus der Landeshauptstadt abzufangen. Diesen Druck spüren inzwischen besonders Leute mit geringem oder mittlerem Einkommen. Der Landkreis will nun gegensteuern. Noch heuer soll ein Kommunalunternehmen gegründet werden, das auf Flächen der Kommunen günstige Wohnungen baut.

Fast nur hochpreisig

Im Landkreis Starnberg mit seinen 134 000 Einwohnern sind die Grundstückspreise im vergangenen Jahrzehnt gleichsam explodiert. Daher werden in den Seegemeinden fast ausschließlich hochpreisige Einfamilien- und Doppelhäuser gebaut. In der Kreisstadt Starnberg versucht man, mit einem Einheimischenmodell Am Wiesengrund auch weniger Vermögenden zu Eigentum zu verhelfen. Am Tutzinger Ortsrand errichtet der Verband Wohnen des Landkreises 70 Wohnungen. Die Appartements Am Kallerbach sollen günstig vermietet werden. Im Würmtal ist derzeit in der 19 000-Einwohner-Gemeinde Gilching mit der "Gilchinger Glatze" das größte Bauvorhaben in Planung. Auf 15 Hektar soll mitten im Zentrum Wohnraum für weitere 1500 Bürger entstehen. Los geht's aber frühestens in fünf Jahren.

Langsamer Einstieg

Der Wohnungsbau im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen springt ganz langsam wieder an - vor allem im geförderten Bereich: Die Baugenossenschaft hat am Mittwoch das Richtfest für immerhin 27 Sozialwohnungen in Geretsried gefeiert. Überhaupt liegen in der von Vertriebenen aufgebauten Stadt die größten Baustellen des Kreises. Auf einem alten Gewerbe-Areal im Norden der Stadt sind 600 Apartments vor allem aus dem geförderten und günstigen Segment geplant, im Süden wird eine Baulücke mit 100 Wohnungen geschlossen. Während sich in Wolfratshausen wenig tut, hat Bad Tölz angekündigt, wieder in den sozialen Wohnungsbau mit Genossenschaften einzusteigen. Derzeit entsteht ein Modellprojekt: Die Stadt baut eine Flüchtlingsunterkunft, die später zu Sozialwohnungen umgebaut werden kann.

Alles wächst

Kaum eine Gemeinde im Landkreis München, die in den nächsten Jahren nicht gewaltig wachsen wird: In Garching ist zwischen Uni-Campus und Stadt ein neues Viertel inklusive Schule geplant, in dem 2800 Menschen wohnen sollen, und zwar in Eigentums- wie auch Sozialwohnungen. Auch an den Schleißheimer Kanal in Hochbrück könnten dereinst bis zu tausend Neubürger ziehen. In ähnlichen Dimensionen plant Haar: Auf dem ehemaligen Klinikareal soll in sanierten und erweiterten Jugendstilgebäuden Platz für 2000 neue Gemeindebürger entstehen. Knapp 190 Wohnungen sind in Ismaning auf dem Gelände der ehemaligen Sauerkrautfabrik geplant, rund hundert auf dem Raiffeisengelände in Feldkirchen. Restriktiver verhält sich Unterhaching: Die Gemeinde im Süden will nur noch durch Nachverdichtung wachsen und hat einen Schlussstrich bei 28 000 Einwohnern gezogen.

Warten auf den Abzug

Ein wirklich großes Projekt gibt es in dem mit seinen 213 000 Einwohnern bereits recht dicht besiedelten Landkreis Fürstenfeldbruck, auch wenn es noch Zukunftsmusik ist: 2021 will die Bundeswehr endgültig vom Fliegerhorst abziehen, dann soll auf dem riesigen Areal im Nordwesten der Kreisstadt eine Siedlung für bis zu 4500 Menschen nebst Arbeitsstätten und der entsprechenden Infrastruktur geschaffen werden. Bis es so weit ist, beschränkt sich Fürstenfeldbruck aufs Machbare und damit zumeist auf die Nachverdichtung . Zu den größten Projekten, die im Laufe der kommenden beiden Jahre verwirklicht werden soll zählt die Bebauung des Hochfelds im Norden der Stadt. Dort sollen 140 Wohnungen für 700 Menschen gebaut werden. Viele neue Wohnungen gibt es auch in Olching. Die junge Stadt wächst wie keine zweite Kommune im Landkreis. Aktuell entsteht im Ortsteil Geiselbullach eine kleine Siedlung mit mehr als einem Dutzend Häuser. Auch ein ehemaliges Firmengelände ist zu einem Wohngebiet umgestaltet worden. Kaum mehr Spielraum für weiteres Wachstum gibt es dagegen in den östlichen Landkreiskommunen Gröbenzell und Eichenau.

Neuer Stadtteil

Im Norden der Stadt Freising, auf dem Gelände der früheren General-von-Stein-Kaserne, entsteht ein völlig neuer Stadtteil. Das neue Stadtviertel ist insgesamt 161 000 Quadratmeter groß - nach seiner Fertigstellung werden hier bis zu 1000 Menschen leben. Die ersten Häuser und Wohnungen wurden im Herbst 2013 bezogen. Der Spatenstich für den Bau von weiteren Wohnungen steht in den nächsten Tagen an. Im Nordosten des Areals errichtete die Stadt zudem eine Kindertagesstätte für drei Krippengruppen, drei Kindergarten- und eine Hortgruppe. Die Einrichtung ist zudem inklusiv. Auch ein großes Einkaufszentrum, das Steinzentrum, gibt es bereits. 2022 soll auf dem Gelände auch eine komplett neue Grund- und Mittelschule mit 20 Klassen in Betrieb gehen. Die ist derzeit in Planung, die Kosten liegen bei geschätzt 60 Millionen Euro.

© SZ vom 29.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: