Vorurteile über Studierende: lebenserfahren:Der Historiker

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Von Tobias Dinkelborg

(Foto: N/A)

In Ruhe schließt der Historiker sein Fahrrad ab und steckt sich erst einmal eine Pfeife an. Bis zum Beginn der Vorlesung hat er noch massig Zeit. Er ist Rentner und stets viel zu früh an der Uni. Seine Beamtenlaufbahn hat er beendet, jetzt liegt der Fokus auf dem Geschichtsstudium. Die deutlich jüngeren Kommilitonen gucken ihn manchmal schräg an, tuscheln, lästern.

Er steht da aber drüber, mit seiner ganzen Lebenserfahrung steckt er alle anderen locker in die Tasche - außer natürlich die Gleichaltrigen, die neben ihm die ersten beiden Reihen des Hörsaals blockieren. Wenn er etwas zu sagen hat, meldet er sich sofort. Denn er möchte ja von seinen Erfahrungen berichten, sieht sich als Teil der Geschichte. Kubakrise und Mondlandung? Hat außer ihm im Saal niemand miterlebt. Römische und griechische Antike? Gefühlt war er dabei. Dass seine Wortmeldungen vermutlich nur ihn interessieren? Ihm herzlich egal.

Nach dem Ende der Vorlesung unterhält sich der Seniorenstudent ausgiebig mit dem Professor. Erst wenn er das Gefühl hat, einen weiteren Tag sinnvoll verbracht zu haben, geht er zum Fahrrad und zündet die Pfeife an.

Studiert Geschichte: Jonathan Holst, 21, ist theaterbegeistert. (Foto: Steffen Leiprecht)

Jonathan Holst hat sein berufliches Leben noch vor sich. Der 21-Jährige studiert Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität - und das mit einem ungewöhnlichen Ziel vor Augen. Holst träumt nämlich langfristig von einer Karriere in der Theaterregie. Deshalb hat er vor etwa drei Jahren seine Heimatstadt Eutin in Schleswig-Holstein verlassen und ein Freiwilliges Soziales Jahr am Staatstheater in Nürnberg absolviert, anschließend ging es weiter in die bayerische Landeshauptstadt.

Nun startet Holst, der sich als Hilfswissenschaftler an der Uni ein wenig Geld dazuverdient, ins vierte Semester; mit Spaß an der Sache. Die Inhalte der vergangenen Monate fand er "ziemlich cool" - besonders das Seminar zum Thema Geschichtstheater, das seine beiden Leidenschaften geradezu perfekt verknüpft hat. Und in seiner Hausarbeit thematisierte der 21-Jährige kürzlich die Performativität von Trauer und Tränen in der politischen Kultur der römischen Republik.

Schon in der Schule war sein geschichtliches Interesse groß. "Es ist eine Wissenschaft, bei der man sich mit allem beschäftigen kann. Das ist das Tolle. Es gibt immer einen historischen Kontext", sagt Jonathan Holst. Eben auch im Theater

© SZ vom 23.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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