Volkskrankheit Diabetes:Süßer Feind

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Wer an Diabetes des weit verbreiteten Typs 2 leidet, kann die Erkrankung durch gesunde Ernährung und Bewegung ziemlich gut in den Griff bekommen. Hilfe und Tipps bietet in München eine Selbsthilfegruppe

Von Christian Gschwendtner

An seinen letzten Besuch bei McDonald's kann sich Franz Straube genau erinnern. 1987 war das, im englischen Städtchen Bournemouth an der Südküste. Seitdem hat er kein Schnellrestaurant mehr betreten, eine Devise, mit der er recht gut gefahren ist. Straube, 72, gehört zu jenem Personenkreis, der sich am besten mit dem Adjektiv "pumperlgsund" beschreiben lässt. Es geht ihm gut. Für die 15 Kilometer zum Wocheneinkauf von Solln nach Schwabing nimmt der pensionierte Chemiker das Rad, den Pulsmesser immer um die Brust geschnallt.

Obwohl er selbst nie mit Diabetes kämpfen musste, leitet Franz Straube die Diabetes Selbsthilfegruppe München. Eine Eigeninitiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Zuckerkranken der Stadt ein möglichst langes und beschwerdefreies Leben zu ermöglich. Ganz so abwegig ist Straubes Engagement freilich nicht: Seine Frau hatte lange eine Apotheke, er selbst wollte in jungen Jahren mal Biochemie studieren, hat sich dann aber der Karriere wegen umentschieden. Das Interesse ist geblieben, deshalb hat Straube auch nicht lange gezögert, als man ihm 2010 die Leitung der Selbsthilfegruppe antrug. Mittlerweile zählt sie 120 Mitglieder.

Wie viele Diabetiker sich in München insgesamt in Selbsthilfegruppen organisieren, lässt sich nicht genau sagen. Es dürfte allerdings keine große Zahl sein. Nach Angaben der Deutschen Diabetes-Hilfe, einer unabhängigen Dachorganisation, ist es bayernweit gerade mal ein Prozent der Betroffenen. Verwunderlich ist das insofern, weil Diabetes - im Volksmund besser bekannt als "Zuckerkrankheit" - nach wie vor als gesamtgesellschaftliches Problem gilt. Allein in Oberbayern leidet laut dem Landesamt für Gesundheit beinahe jeder Dreizehnte an der Stoffwechselkrankheit. In Wahrheit dürften es noch mehr sein. Das Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass in Bayern 200 000 Menschen eine nicht diagnostizierte Diabetes haben.

Genau diejenigen, die Diabetes haben, ohne es zu wissen, sollen am Rande des Europäischen Diabetes-Kongresses angesprochen werden. Die Tagung findet vom Wochenende an in München statt, in diesem Rahmen gibt es auch mitten in der Stadt, am Odeonsplatz, einen "Diabetesmarkt". Mit ihm wollen die Veranstalter so viele Passanten wie möglich erreichen.

In die Schlagzeilen geraten ist die Diabetes-Krankheit erst kürzlich wieder durch die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Sie hat herausgefunden, dass mehr als die Hälfte der Erfrischungsgetränke in deutschen Supermärkten zu viel Zucker enthalten. Der höchste Anteil fand sich wenig überraschend in Energydrinks. Zu viel flüssiger Zucker in Getränken erhöht allerdings das Risiko für Fettleibigkeit und damit für Typ-2-Diabetes, ein Zusammenhang, der immer wieder von der Wissenschaft hergestellt wird. Einzelne Politiker fordern deshalb bereits die Einführung einer Zuckersteuer. In Großbritannien soll sie ab 2018 geltendes Gesetz werden.

Von solchen Bevormundungen hält die Münchner Diabetes-Selbsthilfegruppe allerdings wenig. Lieber appellieren ihre Mitglieder an die Eigenverantwortung der Betroffenen, sie steht klar im Fokus der Arbeit. Schon das Lesen des Flaschenetiketts im Supermarkt helfe, da stehe alles drauf, sagt Franz Straube. Die Leute sollen selbst lernen, was gut für sie ist. Genau aus diesem Grund sieht sich Straube auch nicht in der Rolle eines Gruppenleiters. Schon eher sei er eine Art Koordinator, sagt er, jemand, der sich um die Referenten kümmert, die einmal im Monat zu einem Vortrag mit Diskussion eingeladen werden. Die Experten kommen aus den Münchner Praxen, aus den städtischen Krankenhäusern, aus den Uni-Kliniken der LMU und der TU. So gut wie jeder Referent, der etwas Einschlägiges zum Thema zu sagen hat, war bereits zu Gast bei der Selbsthilfegruppe.

In ein paar Tagen wird Katrin Esefeld, Ärztin am Klinikum rechts der Isar, über Empfehlungen für Bewegung und Sport sprechen. Etwa 80 Prozent der Diabetiker aus der Selbsthilfegruppe leiden unter dem Typ 2 - früher besser bekannt als Altersdiabetes -, der sich durch Bewegung und gesunde Ernährung gut in den Griff bekommen lässt. Die Mitglieder der Gruppe haben sich genau das zum Ziel gesetzt. Man trifft sich zu Kochkursen, Fahrradtouren und Nordic-Walking-Ausflügen.

Wie weit man mit entsprechender Disziplin kommen kann, zeigt die Lebensgeschichte von Winfried Yblagger. Sechs Jahre war er alt, als er die Diagnose erhielt: "Juveniler Diabetes mellitus", auch bekannt als Typ-1-Diabetes. Winfried Yblaggers Bauchspeicheldrüse produzierte wegen einer Entzündung kein eigenes Insulin. Das war 1941 in Bad Reichenhall, mitten im Krieg, zu einer Zeit, als es schwierig war an Insulin zu kommen. Bis in die Nachkriegszeit führte er ein Leben auf Messers Schneide, mal versorgte ihn eine Krankenschwester aus einem Lazarett mit dem lebensnotwendigen Medikament, mal gelang es den Eltern, in letzter Minute Insulin aufzutreiben. Erst als Yblagger zum Studieren nach München ging, wurde es besser. Die Einschränkungen blieben allerdings jahrelang die gleichen: Zwei Insulin-Spritzen pro Tag. Manchmal hätte er sich mehr Unterstützung von der Krankenkasse gewünscht, etwa als es um die Anschaffung der teuren Insulinpumpe ging. Irgendwie hat der studierte Architekt aber durchgehalten. "Mit nicht ganz perfekter Disziplin", wie er heute sagt. Dafür ist er 2014 mit der Mehnert-Medaille ausgezeichnet worden. Mit der Auszeichnung will die Deutsche Diabetes-Hilfe alle Betroffenen ehren, die trotz massiver Einschränkungen gelernt haben, mit der Krankheit jahrzehntelang erfolgreich zu leben.

Im Falle von Yblagger sind es mittlerweile 74 Jahre. Von den Folgekrankheiten ist er dank seines Durchhaltewillens verschont geblieben. Nur der Rücken schmerzt ein wenig, aber das sei eine ganz normale Erscheinung des Älterwerdens, sagt Yblagger.

© SZ vom 07.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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