Versorgung mit Hebammen:Schwangere werden allein gelassen

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Billige Kaiserschnitte und ein Notruf, der nichts bringt

"Notfallnummer für Schwangere" vom 15. Juli:

Ein brutaler Versuch

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint, würde Tucholsky sagen. Jetzt sollen Schwangere in München, die keine Hebamme finden, auf eine neue Telefonnummer verwiesen werden, wo ihnen, ja was wohl, einmal mehr der Mangel an Hebammen attestiert wird. Wo bleiben die Initiativen, die den freiberuflichen Kolleginnen die aufsuchende Wochenbettbetreuung attraktiver machen? Wo bleibt der Ortszuschlag für unsere hochpreisige Stadt, mit dem sich die Hebammen auch Hausbesuche in einem weiter entfernten Stadtteil leisten könnten? Die Anfahrt ist nämlich praktisch unbezahlt: Für zwei bis drei Euro brutto geht es im Stop and Go einmal quer durch die Stadt. Mit dieser neuen Initiative wird der Mangel an Hebammenhilfe nurmehr verwaltet, und die Hebamme, die es sich antut, in dieser neuen Hotline zu erscheinen, erhält ab jetzt noch mehr Anfragen, die sie absagen muss. Ernsthaft, sieht so die städtische Unterstützung für die jungen Familien aus? Muss die löchrige Versorgung erst im großen Stil gründlich schief gehen und in der Presse breitgetreten werden? Brauchen wir ernsthaft Frauen, die im Auto entbinden oder im Straßengraben? Brauchen wir ernsthaft das erste tote Kind? Mutig von den Verantwortlichen, auf diesen Tag zu warten. Claudia Lowitz, Hebamme, München

Kaiserschnitt-Propaganda

Da die Geburt ein für alle Individuen existenzielles Ereignis ist, muss man ihr eine entsprechende Bedeutung einräumen und die Hebammen, die die sensible und mit viel Verantwortung und natürlichem Risiko verbundene Aufgabe der Geburtshilfe übernehmen, angemessen honorieren. Leider findet hier eine unglaubliche Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft statt. Anstatt für eine angemessene Bezahlung der Hebammen zu sorgen (die Vergütungssätze liegen etwa auf dem Niveau von besser bezahlten Putzkräften), nutzen Lobbygruppen im Gesundheitswesen ihren Einfluss, dies mit allen Mittel zu verhindern, denn Kaiserschnittgeburten sind nun mal viel lukrativer für die Ärzte und Krankenhäuser. Der Mangel ist also politisch gewollt und mit Absicht herbeigeführt. Verschärfend kommt hinzu, dass die Haftpflichtversicherung der Hebammen inzwischen viel teurer als die der Ärzte ist und nur noch von denen bezahlt werden kann, die wie ein Workoholic arbeiten. Getaktete Geburten am Fließband, das ist wohl die durchkommerzialisierte Vision der Finanzoptimierer. Für Schwangere ein Grauen. Das Lamento über den Mangel an Hebammen, das von Politikern und Funktionären des Gesundheitssystems gerne angestimmt wird, ist mehr als scheinheilig, etwas so, wie wenn ein Feuerwehrmann neben einem brennenden Haus steht und immer nur schreit "es brennt, es brennt!", anstatt seinen Schlauch aufzudrehen und zu löschen. Wir brauchen eine adäquate Bezahlung dieser kleinen, aber entscheidenden Berufsgruppe und eine solidarische, gesamtgesellschaftliche Übernahme eines Großteils der Versicherungskosten, damit die Hebammen davon nicht "erschlagen" werden. Unter diesen geänderten Rahmenbedingungen wäre der Hebammenberuf schlagartig attraktiv genug, der Unterversorgung ein Ende zu bereiten. Rainer Bartesch, Pöcking-Maising

© SZ vom 07.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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