Verkehrspolitik:Größer, breiter, länger

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"Wir bauen uns eine haltbare Welt", singt Gerhard Polt, "Beton, Beton, fantasievoll und praktisch glänzt er in der Sonn'." Durch die Pfeiler der A 94-Brücke sieht man das Lindumer Kircherl. (Foto: Sebastian Beck/oh)

Der Straßenbau ist seit mehr als 40 Jahren ein Riesenthema. Fast nie gab und gibt es Einigkeit, sondern sehr oft erbitterten Widerstand.

Von Florian Tempel

Der Umzug der SZ Redaktion aus dem Alten Landratsamt in der Langen Zeile in neue Büroräume in der Dorfener Straße war auch einen Gelegenheit auszumisten. Man kann aber nicht einfach alles wegschmeißen, auch wenn es unnütz erscheint. Der alte grüne Aktenordner musste unbedingt mit. Allein aus Achtung vor der vielen Arbeit, der großen Genauigkeit und peniblen Sorgsamkeit, mit welcher der Lengdorfer Hans Prockl die vielen Dutzend Seiten getippt hat: Eine Dokumentation der "Zeitungsberichte in zeitlicher Reihenfolge" zur Planung der Isentalautobahn A 94 bis September 1988. Der erste Eintrag datiert aus dem März 1970: Bei einer Bürgerversammlung in Watzling machte der damalige Landrat Simon Weinhuber "nähere Mitteilungen über die bereits im Großen und Ganzen festliegende Trasse". Dann war offenbar jahrelang Ruhe, bis im Juni 1977 der Widerstand gegen die Isentalautobahn mit großer Vehemenz losbrach und Jahrzehnte lang anhielt. Die SZ Erding kam also gerade rechtzeitig in den Landkreis und hatte von Anfang an ein Riesenthema, das sie bis heute begleitet und nicht losgelassen hat.

Bis eine Straße wirklich gebaut wird, vergehen Jahrzehnte, das ist Normalität

Im Jahr 2000, als noch nicht alle Gerichtsurteile zur A 94 gesprochen waren, hat der SZ-Redakteur Hans Kratzer in einem preisgekörnten Essay bereits ein bitteres Urteil zur Autobahn durchs Isental und dem ungebremsten Straßenbau formuliert: "Wieder öffnet der Fortschritt seinen gierigen Schlund, um ein Erdinger Kleinod zu verschlingen. Eifrig stricken Ministerialbeamte am dichten Straßennetz, weshalb sie eine Autobahn über das paradiesisch unberührte Isental spannen müssen. Die dort lebenden Menschen aber fürchten den Tag, an dem sich dieses Schatzkästlein der Natur in eine europäische Transithölle verwandeln wird. Und sie hadern mit den Technokraten, die den Erdboden, der sie genährt und groß gemacht hat, ohne Skrupel auf dem dieselschweren Altar der Mobilität opfern."

Die A 94 ist aber nur ein besonders trauriges Kapitel einer Verkehrspolitik, die den Landkreis Erding trifft wie kaum eine andere Gegend. An allen Ecken und Enden wurde und wird permanent an der sogenannten Verkehrsinfrastruktur geplant. Und immer sind solche Projekte umstritten, im Großen genauso wie im Kleinen. Und immer dauert alles scheinbar unendlich lange. Bis eine Straße wirklich gebaut wird, vergehen Jahrzehnte, das ist Normalität.

Die Flughafentangente Ost (FTO) zum Beispiel: Als sich die bayerische Staatsregierung 1969 entschied, einen Großflughafen im Erdinger Moos zu bauen, wurde ihr Bau festgelegt. Ein vernünftiger Verlauf für den nördlichen Teil war schnell und leicht gefunden, zwischen A 92 und Erding ist flaches Land. Für den südlicheren Abschnitt von der Bundesstraße B 388 bis zur A 94 bei Markt Schwaben wurden drei Varianten untersucht. 1976 wurde eine Trasse ausgewählt, 1989 wurde sie wieder verworfen. 1997 war der neue Streckenverlauf beschlossen, 2000 die Sache rechtskräftig, jedoch erst zehn Jahre später die FTO fertiggestellt. Gleichzeitig war da längst klar, dass sie eine gefährliche Fehlplanung war. Vor allem auf ihrem nördlichen Abschnitt ereignen sich seit Jahren schwerste Verkehrsunfälle mit Toten und Schwerverletzten. Tragische dabei ist auch, dass sehr oft bei Straßenplanungen damit argumentiert wird, mit der neuen Straße würde man das Leben sicherer machen.

Ebenso schier ewige Straßenprojekte sind der Bau der Ortsumgehung von Taufkirchen oder die Nordumfahrung von Erding. Auch in Moosinning und Eichenried hoffen viele seit Jahrzehnten auf eine Ortsumgehung, genauso in Grünbach und am Ostrand von Erding. Und es ist ja wirklich schon etwas komisch: Wer auf der Bundesstraße B 388 östlich der Landkreisgrenze fährt, wundert sich, warum das überall längst normal ist, dass der Verkehr selbstverständlich an Velden, Vilsbiburg, Gangkofen und Eggenfelden vorbei fährt und nicht mitten durch die Orte brettert.

Nur mancherorts, und das ist eher selten, will die Mehrheit der Bürger lieber nichts von einer Umgehung wissen. So wie in Dorfen, wo eine Umgehungsstraße entweder das naturnahe Naherholungsgebiet an der Isen am westlichen oder östlichen Stadtrand zerstören würden.

Einmal aber - und das ist noch nicht so lange her -, da waren alle im Landkreis bei einem Straßenbauvorhaben einer Meinung. Eine neue monströse B 15 als vierspurige Autobahn durch den Osten des Landkreises geschlagen - das war zu viel. Jeder war dagegen und alle gemeinsam, die Bauern und die Naturschützer, die Konservativen und die Grünen. Es dauerte nur wenige Wochen und die Staatsregierung nahm alles zurück. Ist das ein Zeichen für die Zukunft? Werden noch die bereits seit Jahrzehnten geplanten Straßenprojekte realisiert - und dann ist Schluss?

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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