Verhasste, geliebte Schranne:15.000 Menschen können nicht irren

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Kritikern gefällt die Schrannenhalle nicht, doch das Publikum nimmt sie gut an.

Stephan Handel

Gegen Mittag schwillt die Welle; sie schaufelt die Menschen hinein ins Glashaus zu gesottenem Ochsen, Krabben mit Spiegelei und Spinatstrudel. Sie sitzen an Stehtischen und auf Wiener Caféhausstühlen, auf Barhockern und manchmal auch nur erschöpft auf einem großen Sitzwürfel, gleich neben dem Eingang: Mittag in der Schrannenhalle.

Historische gusseiserne Säulen stehen zwischen Messestand-Konstruktionen. (Foto: Foto: Schranne)

Einen guten Monat ist jetzt in Betrieb, was die Betreiber "einen bunten Marktplatz für Jung und Alt" nennen, die Kritiker aber eine "halb vertane Riesenchance": Zu monströs sei die Glasfassade, zu schwergewichtig das ganze Aluminium, nichts sei mehr übrig geblieben von der freischwebenden Leichtigkeit der gusseisernen Säulen des Franz Karl Muffat aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Und im Inneren erst: vollgestellt, zugeramscht, eine Geldabschöpfungsmaschine, fürchterlich, gesichts- und geschichtslos.

Es wird nämlich auch Tee verkauft. Englischer. Und thailändisches Essen und Pizza aus Italien. Und Tandoori-Gerichte, die bekanntermaßen nicht in Untersendling erfunden wurden. Es ließe sich die Schranne also ohne weiteres traditionsnegierend nennen, unmünchnerisch, touristisch. Aber vielleicht ist es gerade das, was die Leute wollen?

Die geretteten Säulen tragen nicht

15.000 Menschen kommen jeden Tag, weiß Anne Kröhl von jener Agentur, die die Schranne publizistisch betreut. Kurz nach der Eröffnung waren es sogar 25.000 Neugierige täglich; und während der Wiesn lief's auch gut, als zwischen Prälat-Zistl- und Blumenstraße ein weiteres Bierzelt stand, aus Glas und durchgehend geöffnet. Können 15.000 Menschen am Tag irren?

Katharina Obermayer jedenfalls, 54, aus Weilheim, findet's "sehr schön. Und so verschieden". Ihr gefällt gerade das Gemischte, das Durcheinander, das Fremde auch: Hier gibt's Haferlschuhe, daneben zischt Gemüse im Wok, und die höchste Vereinigung des Disparaten bietet jene Bar, in der es Champagner nebst Currywurst gibt.

Sonnenlicht fällt durch die Dachfenster in die Schranne. Die Strahlen werden allerdings durch die Stände abgefangen. (Foto: Foto: Schranne)

"Da schau", sagt ein Mann zu seiner Begleiterin, "des san de Säulen, de wo's gerettet ham." Er steht vor dem grünen Gusseisen, als wäre er im Museum, ein Museum allerdings, das sich größte Mühe gibt, seine schönsten Exponate unsichtbar zu machen. Die Muffatschen Säulen verstecken sich hinter den Stand-Wänden, und wer ihre lichte Grazie erkennen will, der muss den Blick nach oben wenden, zur Decke, wo kein T-Shirt-Beflocker und kein Fischbrater im Weg ist.

Anne Kröhl allerdings gibt zu, dass die Säulen nicht viel mehr sind als Dekoration - die notwendige Statik wäre mit ihnen nicht hinzubekommen gewesen, Sprinkleranlage, Belüftung, Heizung, Elektrik beschweren die Konstruktion: untragbar für das Original.

Glänzende Belüftungsrohre als schickes Übel

Und dann dieses dicke, meterdicke, silbern glänzende Belüftungsrohr, das sich nahe der Decke durch die ganze Halle zieht - "peinlich" sei das, schrieb die Architekturkritik, "zur Kommunikation mit den Gusseisensäulen nicht fähig", auch wenn nicht ganz klar ist, wie sich das anhören könnte, wenn Belüftungsrohr und Säule miteinander in ein Gespräch treten.

Anne Kröhl gibt jedoch zu, das sie mit dem, wie es jetzt ist, auch nicht so ganz zufrieden sein kann: "Das Rohr wollte keiner - es ist ein notwendiges Übel. Und diese Lösung war von allen noch die schickste."

Beim Stichwort Schick kommen nun zwei junge Damen ins Spiel - Zickenschuhe, Reinschwitz-Täschchen - die durch die Gänge bummeln und das alles "schon recht schickimicki" finden.

Diese Einschätzung meint aber offensichtlich ihr Gegenteil: Den beiden Damen ist das alles gerade nicht schick genug, von einer behaupteten Exklusivität, die sich aber durchs Publikum relativiert, und türstehergeadelte P 1-Mädels finden das dann irgendwie disgusting: ein Laden, in den jeder rein darf.

Die Gastro bringt das meiste Geld

Drei bis vier Besucherschichten hat Anne Kröhl über den Tag verteilt ausgemacht: am Vormittag viele Mütter mit Kindern, Hausfrauen, die zum Einkaufen kommen. Später die Mittagsgäste aus den umliegenden Büros und Geschäften.

Am Nachmittag dann ältere Besucher, auch "Schranne-Touristen" die anreisen aus Weilheim und Rosenheim und Freising. Und abends wieder die Werktätigen im Anzug, die gerne noch den Feierabend-Drink nehmen, zum Beispiel bei der After-Work-Party, jeden Donnerstag, Eintritt sechs Euro, Buffet inklusive, so lange der Vorrat reicht.

Die Gastronomie ist natürlich der Haupt-Umsatzbringer, 80 Prozent, schätzt Anne Kröhl. Bei den Läden kommt es, so ihre Meinung, auf den Betreiber an: "Wenn der nur hinter seiner Kasse sitzt, ist weniger los. Andere gehen raus und holen sich die Leute."

Dass noch nicht alles optimal ist, das weiß auch die PR-Frau. Sie nennt das "Kinderkrankheiten, Dinge, die am Reißbrett geplant wurden, aber ob sie funktionieren, sieht man erst in der Praxis."

Cincinnati und Kiew müssen weg

So sollen nun einige Stände etwas näher zusammengerückt werden, damit der Platz in den Gassen weiter wird für die Passanten. Die Verblendungen an den Terrassen - sie heißen zum Beispiel Cincinnati oder Kiew, nach den Partnerstädten Münchens -, diese Verblendungen sollen wieder entfernt werden, damit die oberen Abschlüsse der Stände nicht mehr so massiv wirken wie Bulldozer-Garagen.

Es ist jetzt früher Nachmittag, und die Seh-Leute sind da. Sie gehen durch die Gassen mit dem starren Blick des Konsumenten und dem langsamen Schritt des Schlenderers; wer es eilig hätte, könnte aggressiv werden. Die Schranne steht da, und 15 000 Menschen jeden Tag besuchen sie. Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.

© SZ vom 27.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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