Vater vor Gericht:Sexueller Missbrauch, spät entdeckt

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Der Mann onanierte auf seine Zwillinge, als sie noch Neugeborene waren. Die heute neun Jahre alten Kinder wissen nichts davon - jetzt muss der Täter in Haft.

Stephan Handel

Es ist ein bedrückender Vormittag im Saal B 277 des Landgerichts München, die Sonne, die draußen strahlt, scheint nicht durch die Fenster zu dringen und auch das Vogelgezwitscher bleibt draußen.

Die 11. Strafkammer verhandelt einen Fall, der zunächst ekelerregend und abstoßend erscheint -im Lauf der Verhandlung dann jedoch einen fast tragischen Zug bekommt.

Anklage: Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen. Täter: Der Vater zweier Zwillingsmädchen. Tatzeit: Im Herbst 1997. Da waren die Mädchen Neugeborene, noch kein halbes Jahr alt.

Franz M. (Name geändert) soll an den Geschlechtsteilen der Babys manipuliert haben, er soll onaniert haben, während die Mutter ein Kind badete, anschließend auf das Kind ejakuliert haben. Zuvor hatte er eine Videokamera aufgebaut, um die Szene zu filmen.

Neun Jahre liegt das zurück - und wahrscheinlich hätte niemand von den Vorfällen erfahren, wenn sich Franz L. und seine Lebensgefährtin nicht getrennt hätten.

Jahrzehntelange Drogensucht

Weil er sie danach offenbar nicht in Ruhe ließ, ging sie zur Polizei, erzählte zunächst von Sprengstoff und Waffen in der Wohnung des Chemikers - wofür er im Mai zu einer Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt wurde - und schob schließlich die Information über das Videoband hinterher.

Franz L. ist ein schlaksiger Mann mit ungelenken Bewegungen, dem die jahrzehntelange Drogensucht immer noch anzusehen ist. Zunächst will er nicht einmal seine Personalien angeben, weil im Zuhörerraum Journalisten sitzen.

Dann steht er auf und wendet sich an die Reporter: Die Kinder wissen bis heute nichts von den Taten ihres Vaters, er hat ein gutes Verhältnis zu ihnen, nie dürfen sie erfahren, was geschehen ist.

Darüber ist er sich wohl auch mit der Mutter einig - die sich allerdings, wäre sie denn da, schon fragen lassen müsste, warum sie denn die Anzeige erstattet hat, wenn sie ihre Kinder schützen will.

Kinderschutz - darum geht es auch Reinhold Baier, dem Vorsitzenden Richter, deshalb gehen Verteidiger, Staatsanwalt und Gericht ins Beratungszimmer, um nach einer Lösung zu suchen. Als sie wieder herauskommen, steht eines fest: Wenn Franz L. die Taten gesteht, die ihm vorgeworfen werden, dann wird er für drei Jahre und acht Monate ins Gefängnis gehen.

Danach gleicht die Gerichtsverhandlung eher einem Beratungsgespräch: Franz L. will darauf bestehen, dass er die Taten im Drogenrausch begangen habe und dass er nie der Pädophilie verdächtig war. Das habe auch niemand behauptet, sagt Reinhold Baier, aber so planvoll der Täter alles arrangiert habe, könne von verminderter Schuldfähigkeit keine Rede sein.

Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt komme auch nicht in Frage. Übrig bleibt nur der Paragraph 35 des Betäubungsmittelgesetzes: Einen Teil der Strafe absitzen und dann eine stationäre Therapie beginnen. Das will er, sagt Franz L. jetzt, mit einer überraschenden Begründung: "Ich habe meinen Glauben für mich gefunden."

Diskussion über das Strafmaß

Und dann redet er sich fast doch noch um Kopf und Kragen - als es nämlich darum geht, welche der Taten bestraft werden müssen und welche ignoriert werden können, weil sie für das Strafmaß ohne Belang sind. Angeklagt ist ein Fall des schweren sexuellen Missbrauchs, der soll eigentlich wegfallen.

Aber Franz L. beginnt eine Diskussion darüber, was denn "Eindringen in den Körper" sei, ob man davon denn sprechen könne, wenn es nur um einen Zentimeter des Zeigefingers geht - damit hat er sozusagen gestanden, was er nicht hätte gestehen müssen.

An der Strafe ändert das nichts mehr: Drei Jahre und acht Monate, in denen sich zwei Zwillingsmädchen wundern werden, warum ihr Vater im Gefängnis sitzt. Was er getan hat, sollen sie nie erfahren.

© SZ vom 13.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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