Ein Urteil des Amtsgerichts München könnte enorme Auswirkungen auf die häusliche Pflege haben: Es ist illegal, osteuropäische Haushaltshilfen als selbständige Pflegekräfte zu beschäftigen, so der Tenor. Tausende Familien, die dieses Modell praktizieren, wird dies wohl stark verunsichern. Fachleute mahnen die Politik, endlich klare Regeln für den Einsatz ausländischer Pflegekräfte zu schaffen.
Es kommt nicht oft vor, dass ein Richter, noch ehe er sein Urteil begründet, ausdrücklich danke sagt. Heinz Mecklinger, Richter am Amtsgericht, bedankt sich bei allen Prozessbeteiligten, auch bei jenem Mann, den er gerade zu einer saftigen Geldbuße verurteilt hat, für die "sorgfältige Argumentation" und das "sehr hohe Niveau" in den Verhandlungen.
Da hat er Recht, das war aber auch nötig, ging es doch in Saal A232 des Münchner Justizzentrums nicht darum, einen Ganoven zur Kasse zu bitten. Man debattierte seit Januar ungelöste gesellschaftliche Fragen: Was tue ich, wenn meine Eltern pflegebedürftig werden und ich sie nicht in ein Heim schicken will? Woher kriege ich Pflegekräfte? Kann ich sie mir überhaupt leisten? Ein Sohn, einer von Dutzenden Zeugen, brachte es so auf den Punkt: "Ich kann meine Mutter doch nicht umbringen!
Richter Mecklinger hat, wenige Tage vor seiner Pensionierung, ein klares Urteil gesprochen: Es ist illegal, osteuropäische Pflegekräfte im Haushalt als Selbständige zu beschäftigen. Sie sind de facto abhängig tätig, also Angestellte des Haushalts, so der Richter, der sich damit der unter Behörden vorherrschenden Ansicht anschließt. Ein Münchner Anwalt wurde deshalb verurteilt, weil er im großen Stil und gegen eine Gebühr von je 1200 Euro Ungarn nach Deutschland vermittelt hatte: 36800 Euro Bußgeld. Sein Verteidiger Michael Fröschl kündigte sofort Rechtsbeschwerde an. So nennt sich die Berufung hier, denn man debattierte nicht in einer Strafsache, sondern in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren. Was so unscheinbar daherkommt, könnte juristisch und politisch weitreichende Folgen haben, denn erstmals liegt nun eine Entscheidung zum Einsatz formal selbständiger ausländischer Kräfte vor.
"Ich habe mit diesem Urteil gerechnet", sagt Claus Fussek, kritischer Geist in der deutschen Pflegelandschaft. Dass der Richter den Gesetzgeber anmahnt, eine Lösung für dieses Problem zu finden, freut Fussek zwar, "das hätte die Politik aber schon früher machen müssen." Es gibt Schätzungen, wonach 150000 Osteuropäer illegal im Pflegebereich hierzulande tätig sind: die einen als Scheinselbständige, die anderen formal entsendet von einer ausländischen Firma.
Auf die Politik zeigt auch Jürgen Salzhuber, Chef der Arbeiterwohlfahrt und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände: "Der Bedarf ist doch da." Angesichts des allgemein bekannten Mangels an Fach- und Hilfskräften im Pflegebereich müssten klare Richtlinien her: Ja, Osteuropäer dürfen hier arbeiten, zu diesen und jenen Bedingungen, Mindestlohn etwa. Es sollten, fordert Salzhuber, dann aber auch unangemeldete Kontrollen in den Haushalten stattfinden, wie es sie in Pflegeheimen gibt, zum Schutz der Kranken.
Politiker also sind gefragt, jene Entscheidungsträger, die bislang entschieden haben, einen großen Graubereich grau zu lassen.Es ist der CSU-Abgeordnete Joachim Unterländer, der das Urteil begrüßt und "eine rechtliche Konkretisierung" anmahnt: "Wenn keine Konsequenzen aus dem Urteil gezogen werden", so der Sozialexperte, "droht gerade in München früher als befürchtet ein erheblicher Pflegenotstand." Auch die neue bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) sagt der SZ, sie wisse um den Wunsch vieler Familien, ihre Angehörige daheim pflegen zu lassen. Deshalb müsse man wohl handeln, womöglich die generelle Freizügigkeit für osteuropäische Pflegekräfte nicht erst 2011 erlauben, sondern schon 2009. "Ich würde das prüfen lassen wollen", sagt Haderthauer, ohne konkret zu werden.
Immerhin, der Zoll weiß, was er will. Dort hat man lange auf dieses Urteil gewartet. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) war es, die, nach einem Hinweis des Finanzamtes, das Verfahren gegen den Münchner Vermittler ins Rollen gebracht hatte. "Froh" ist FKS-Chef René Matschke, weil die eigene Rechtsauffassung bestätigt wurde. Und weil es nun endlich "Rechtssicherheit" gebe, was vor allem den ausländischen Kräften zugute komme, die im 24-stündigen Bereitschaftsdienst immer wieder ausgebeutet worden seien. Endlich also mal einer, sagt Matschke und meint den Richter, der ja oder nein sagt, legal oder illegal.
Das Urteil "illegal" heiße aber nicht, dass der Zoll fortan deutsche Wohnungen durchkämmen werde nach illegalen Pflegern. Matschkes Truppe wird nur dann aktiv, wenn von anderen Behörden Hinweise eingehen. Den betroffenen Familien empfiehlt der Schwarzarbeits-Fahnder, Haushaltshilfen über die Bundesagentur für Arbeit zu engagieren. Diese Kräfte dürften, streng genommen, zwar keine Pflegetätigkeit übernehmen, aber wenn doch, schaue der Staat großzügig weg: "Wir überprüfen das nicht", sagt Matschke: "Diesen Graubereich werden wir immer haben."
Es bleiben jedoch ganz praktische Probleme: die Kosten. Eine so engagierte Kraft hat Anspruch auf Tariflohn von rund 1300 Euro, freie Kost und Logis inbegriffen. Samt Sozialabgaben muss der Haushalt aber gut 1500 Euro zahlen, wovon die Pflegerin nur rund 700 Euro auf die Hand bekomme, rechnet Matschke vor. Ob jemand für so wenig Geld arbeite, sei fraglich. Will man, dass die Kraft zumindest 1300 Euro aufs Konto bekommt, kostet dies den Haushalt schon mehr als 2000 Euro.
Aber nicht für eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung, sondern "nur" für eine 38,5-Stunden-Woche. Hält man sich also an die Vorschriften, landen die Betroffenen wieder im Dilemma der Unbezahlbarkeit. "Ratlos" macht dies Claus Fussek: "Es gibt in der Politik niemanden, der dieses Thema zu einer nationalen Aufgabe macht." Also müssten die Impulse aus der Gesellschaft kommen: "Wir müssen kreativ sein!"