Unterstützung während des Urlaubs:Dann kam das erste Boot

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Martina Hanuschik hilft auf Lesbos, und ein Nachbarschaftsverein macht mit

Von Sabine Oberpriller, Garching

Martina Hanuschik dachte, sie sei vorbereitet. Ihr Vater, der an der Nordküste der Insel Lesbos lebt, hatte ihr schon von den Flüchtlingen berichtet, die in seinem Dorf strandeten. Sie dachte das auch noch, als sie auf dem Weg vom Flughafen die vielen Menschen sah, die von der Küste Richtung Hauptstadt wanderten - eine Strecke von gut 60 Kilometern. Viele barfuß. Aber sie war nicht vorbereitet. In Wirklichkeit war die kleine Familie ähnlich unbedarft angereist wie viele andere Urlauber. Die Flüchtlinge, die seien in den Nachrichten gewesen, und sie hätten es schlimm gefunden, sagen die Töchter Marilena, 20, und Jovana, 15, aber eigentlich weit weg. Und der anstehende Urlaub, sagt Jovana. "Ich dachte, der ist wie immer. Dass ich von der Schule entspannen kann."

Also zieht die Familie am ersten Urlaubstag an den Strand, wie gewohnt. Legt sich in die Sonne, genießt die Wärme. Dann kommt das erste Boot. "Das hat uns geschockt, völlig überfahren", sagt Martina Hanuschik. "Wir sind hin, haben den Leuten aus dem Boot geholfen. 50 waren darauf. Wir haben unser Wasser hergegeben, unsere Kekse, willkommen geheißen, was uns eben so einfiel. Und plötzlich hatte ich ein weinendes Kind auf dem Arm." Das alarmiert die Kinderkrankenschwester. Sie kennt viele Arten Kinderweinen, und das da, das war Panik.

Pro Tag erreichen in dieser Phase rund 13 Boote die Küste. Die Entscheidung, zu helfen, fällt bei der Mutter, ihren Töchtern, ihrem Lebensgefährten und dessen Sohn gleichzeitig. Sie halten Familienrat und beschließen, ihre Hilfe zu professionalisieren. "Das war kein Urlaub", sagt die 49-Jährige jetzt. "Das konnte keiner sein."

Jeden Tag kaufen sie eine Autoladung Obst, Wasser, nötige Utensilien. Die Frauen verteilen Lebensmittel, Windeln, Willkommens-Flyer, trösten, so gut es geht, schwer traumatisierte Mütter, Kinder, Männer. Die Männer helfen, die Reste der Boote zu zerkleinern und aufzuräumen. Andere Touristen schauen einfach zu. Hilfsorganisationen sind nicht da; die konzentrieren sich auf das Notlager im Inneren des Landes. Die Flyer hat Marilena von einer freiwilligen Helfergruppe, "Help for refugees in Molyvos", aus dem Nachbarort.

"Hast du Tote gesehen?", fragen Marilenas Freunde als erstes, wenn sie von ihren Urlaubserlebnissen berichtet. "Zum Glück nicht", sagt sie. Aber Suchaktionen haben sie mitbekommen nach vermissten Kindern. "Es ist ein komisches Gefühl. Abwegig war es nicht." Einen Tag waren sie an der Südküste, kein einziger Flüchtling war dort zu sehen. Erst abends kamen die Bilder wieder hoch und mit ihnen "Gefühlschaos", wie Marilena sagt. Und sie bleiben. "Sie tauchen in meinen Gedanken auf", sagt Jovana. "Menschen, die weinen. Und ich überlege, wo sie jetzt sind."

Wieder zu Hause berichtet Martina Hanuschik der Garchinger Nachbarschaftshilfe, wo sie sich im Vorstand engagiert, von ihren Erfahrungen. In kürzester Zeit schafft der Verein alle Strukturen, um ein dauerhaftes Hilfsprojekt zu unterhalten. Lesbos grenzt jetzt an Garching. Ohne größeren Aufruf sammelt Martina Hanuschik den ganzen Keller voll Hilfsgüter. Jetzt fehlt ihr das Geld für Regencapes, Rettungsdecken und für den Transport (Spendenkonto Kreissparkasse München Starnberg Ebersberg, IBAN DE40 7025 0150 0090 190414).

© SZ vom 28.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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