Unermüdlicher Rekordmeister:"Ich bin der Einzige in meinem Alter, der noch Zehnkampf macht"

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Eduard Bscheid hat 1948 den TSV Brunnthal mit gegründet. Jahrzehntelang spielte er Fußball und Eishockey. Im Alter von 80 Jahren fing er mit der Leichtathletik an. Sprint, Langstrecke, Hürdenlauf, Diskus- und Speerwurf, alles kein Problem. Nur den Stabhochsprung lässt er weg, wegen der Verletzungsgefahr. (Foto: Catherina Hess)

Eduard Bscheid hat im Alter von 87 Jahren einen Weltrekord mit der 400-Meter-Staffel aufgestellt. Ein Leben ohne Sport kann er sich bis heute nicht vorstellen. "Ich habe keine Gelenkbeschwerden und nehme keine Tabletten", sagt er. Sein nächstes Ziel: die deutsche Leichtathletik-Meisterschaft

Interview von Gerhard Fischer, Brunnthal

Eduard Bscheid, den die meisten nur Edi nennen, bewegt sich nicht wie ein 87-Jähriger, eher wie ein 57-Jähriger. Er rennt durch das Vereinsheim des TSV Brunnthal, das an diesem Nachmittag verlassen ist, zu einem Platz, an dem er das Gespräch führen will. Er packt zwei Stühle, die umgedreht auf dem Tisch abgelegt wurden, und stellt sie auf den Boden. Der schlanke Mann setzt sich und erzählt. Er redet so schnell, wie er läuft und arbeitet. Bscheid hat im September mit drei anderen Sportlern bei der Senioren-Europameisterschaft in Italien einen Weltrekord in der 4-mal-400-Meter-Staffel aufgestellt. Einer Zeit-Reporterin, die das Quartett begleitete, sagte Bscheid den schönen Satz: "Des is da Wahnsinn. Hoffentlich hab' ich noch ein paar Jahre, damit ich mich daran immer erinnern kann."

SZ: Herr Bscheid, Ihre Staffel ist einen neuen Weltrekord gelaufen, dabei sind Sie verletzt ins Rennen gegangen.

Eduard Bscheid: Ja, ich hatte mir im Training eine Achillessehnen-Verletzung zugezogen. Außerdem habe ich mir den Fuß vertreten und hatte Schmerzen in der Wade. Ich war Startläufer und bin eigentlich nur gehoppelt. Jeder Schritt hat wehgetan. Meine Zeit war zwei Minuten und zwölf Sekunden, normalerweise laufe ich eine Minute und 55 Sekunden.

Dass Sie Europameister werden würden, war aber vorher schon klar ...

Wir waren die einzige Staffel, die in der Altersgruppe der 85- bis 90-Jährigen an den Start gegangen ist. Sonst hat kein Land vier Mann zusammen gekriegt, die in diesem Alter 400 Meter laufen können. Aber es ging uns ja um den Weltrekord.

Sie sind - um eine Wettbewerbssituation zu haben - gegen drei jüngere Staffeln gelaufen, deren Läufer zwischen 75 und 85 Jahre alt waren, und haben den Weltrekord der Chinesen gebrochen.

Wir haben ihn um 27 Sekunden unterboten. Unsere Zeit war sieben Minuten und 23 Sekunden.

Sie kannten Ihre Mitläufer gar nicht. Stimmt es, dass Sie sie dort, in Caorle bei Venedig, zum ersten Mal gesehen haben?

Richtig. Zwei kamen von Bayer Uerdingen, einer aus Sachsen. Herbert Müller (der am 12. November 90 Jahre alt wurde, Anmerkung der Redaktion) wollte unbedingt diesen Rekord. Er hat alles organisiert, und er hat mich angerufen und gefragt, ob ich mitmache.

Sie waren ja bekannt in der Szene als mehrmaliger bayerischer Meister, deutscher Meister und als Vize-Weltmeister.

Bscheid holt eine Broschüre heraus, in der die Bestwerte der bayerischen Leichtathletik-Senioren des Jahres 2018 aufgelistet sind. Er hat seinen Namen jeweils mit Leuchtstift angestrichen. Bscheid ist bei den über 85-Jährigen fast in allen Disziplinen Erster.

Wie ist Ihre Zeit über 100 Meter?

18,67 Sekunden.

In dem Heft stehen auch alle Werte von Ihrem Zehnkampf?

Ja. Ich bin der Einzige in Deutschland, der in diesem Alter noch Zehnkampf macht.

Bei der WM 2018 in Malaga ...

... bin ich Zweiter im Zehnkampf geworden und habe einen deutschen Rekord in meiner Altersklasse aufgestellt. Da waren nur drei Sportler aus der ganzen Welt in der Klasse zwischen 85 und 90 gemeldet: einer aus Kanada, einer aus Guatemala und ich.

Zum Zehnkampf gehören nicht nur Hammerwerfen, Speerwurf oder 1500-Meter-Lauf, sondern auch Stabhochsprung und Hürdenlauf ...

Stabhochsprung habe ich ausgelassen und null Punkte bekommen. Das geht in meinem Alter nicht mehr, da könnte ich mich verletzen. Das ist auch eine komplizierte Technik, die man als Junger erlernen muss. Den Hürdenlauf habe ich gemacht: 80 Meter in 21 Sekunden.

Wie viele Hürden mussten Sie dabei nehmen?

Acht Hürden. 68 Zentimeter hoch. So hoch springt in Deutschland kein anderer 87-Jähriger mehr, glaube ich.

Vermutlich nicht.

Ich habe erst mit 80 Jahren mit der Leichtathletik angefangen. Davor habe ich vor allem Eishockey und Fußball gespielt.

Ein Mann kommt ins Vereinsheim und sagt: "Edi, kannst du dein Auto ein Stück zur Seite fahren - du stehst in der Feuerwehreinfahrt." Bscheid geht raus und kommt einige Minuten später zurück.

Ich gehöre hier zu den Gründungsmitgliedern. Am 5. Mai 1948 haben wir den TSV Brunnthal gegründet. Wir waren etwa 20 Leute. Ich bin der Einzige, der noch lebt. Im Sommer habe ich früher in Brunnthal Fußball gespielt, im Winter in Höhenkirchen-Siegertsbrunn Eishockey.

Und das ziemlich lange, oder?

Ich habe bis 35 in der ersten Mannschaft Fußball gespielt. In meinem letzten Jahr sind wir in die A-Klasse aufgestiegen, die heute der Kreisliga entspricht. Danach habe ich bei den Alten Herren und in der Ehrenliga in München gespielt. Mit 65 habe ich aufgehört.

Beim Eishockey ging es etwas länger.

Bis 45 habe ich in der Landesliga-Mannschaft in Höhenkirchen-Siegertsbrunn gespielt, danach einige Jahrzehnte in einer Hobbymannschaft in Ottobrunn - und dann auch noch ein paar Jahre bei der inoffiziellen Senioren-Weltmeisterschaft. Ich war zunächst als Betreuer dabei, aber dann haben mich die Jungen gefragt, ob ich nicht jeweils am Ende des Spiels für ein paar Minuten aufs Eis will.

Die Jungen?

Das sind lauter Junge im Verhältnis zu mir. Und sie sind besser. Da sind Ex-Nationalspieler dabei wie Dieter Medicus (Jahrgang 1957, Anm. d. Red.).

Wann haben Sie aufgehört?

Ich war bis voriges Jahr auf dem Eis, aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher auf den Schlittschuhen. Schlittschuh laufe ich zwar noch, aber Eishockey spiele ich nicht mehr.

Haben Sie in Ihrem Leben immer Sport gemacht?

Ich bin ein Mensch, der sich bewegen muss. Ich hatte früher eine Firma, die Öltanks in den Kellern zusammengeschweißt hat. Tagsüber habe ich körperlich schwer gearbeitet und abends bin ich ins Fußball- und Eishockeytraining gegangen.

Und heute?

Ich mache noch fast jeden Tag Sport: Leichtathletik in der Senioren-Gruppe des TSV Unterhaching oder alleine, Radfahren - ich fahre viel den Berg rauf, das ist für die Lunge sehr gut. Und ein- bis zweimal in der Woche gehe ich in den Kraftraum. Ich habe keine Gelenkbeschwerden und keine Probleme mit dem Rücken. Ich muss für nichts eine Tablette nehmen. Und ich muss kaum auf das Essen achten.

Wie geht's jetzt weiter, sportlich?

Die nächste Leichtathletik-WM ist in Kanada und die nächste Europameisterschaft in Finnland, das ist zu weit weg. Das ist zu viel Aufwand und zu anstrengend. Da flieg' ich nicht mehr hin. Aber bayerische Meisterschaften mache ich schon noch. Und wenn die deutsche Meisterschaft in meiner Nähe ist, gerne auch in Baden-Württemberg, dann will ich dabei sein.

© SZ vom 20.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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