Und jetzt?:Angst vor einem Suppenküchenstaat

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Christoph Frey, Chef der Münchner Arbeiterwohlfahrt, wünscht sich ein Sozialsystem, das ein würdiges Leben im Alter ermöglicht

Interview von Thomas Anlauf, München

Christoph Frey ist seit März 2012 Geschäftsführer der Münchner Arbeiterwohlfahrt (AWO). Er hat Politik- und Erziehungswissenschaften studiert. Bevor er die AWO-Geschäftsführung übernahm, war der 40-Jährige Münchner DGB-Vorsitzender. Er gilt als Experte in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.

SZ: Alte Menschen, die in Mülltonnen nach Pfandflaschen suchen, gehören mittlerweile fast zum alltäglichen Bild in München. Die Altersarmut steigt seit Jahren. Was läuft da falsch?

Christoph Frey: Die notwendigen Ausgaben, die der Daseinsvorsorge dienen, also etwa für Wohnen, Gesundheit, Ernährung, werden immer höher. Auf der anderen Seite sinken die Einkommen der weniger gut verdienenden Menschen. Ihre Rechte am Arbeitsmarkt wurden in den vergangenen 20 Jahren immer mehr beschnitten, und das wirkt sich jetzt zunehmend aus. Viele Menschen haben heute unterm Strich weniger Geld zur Verfügung, die Kaufkraft sinkt. Das heißt: Es gibt allgemein eine Steigerung bei den Ausgaben, gleichzeitig bekommen viele nach Erwerbszeiten mit zu niedrigen Löhnen geringere Renten. Das führt dazu, dass ein größerer Teil in die Altersarmut rutscht.

In München scheint die Altersarmut besonders besorgniserregend zu steigen. Liegt das denn vor allem an den hohen Mietkosten?

Dass immer mehr ältere, vor allem alleinlebende Menschen Sozialhilfe benötigen, liegt natürlich auch an den hohen Mieten. Wenn man schon 800 Euro warm für eine Zweizimmerwohnung zahlt, kann jeder ausrechnen, wie viel Rente man in dieser Stadt braucht, um alleine zurecht zu kommen. Zudem liegen auch die sonstigen Lebenshaltungskosten in München deutlich höher als anderswo. Dazu kommt die kulturelle Teilhabe, ein Besuch im Café, Theater . . . Und was ist, wenn man sich kein warmes Essen mehr machen kann?

Wenn im kommenden Jahr der neue Armutsbericht erscheint, dürfte der Aufschrei groß sein. Nach dem Bericht von 2011 lebten eine Viertelmillion Münchner von weniger als 1000 Euro im Monat, aktuell beziehen fast 15 000 Rentner Grundsicherung. Wie kann die Stadt da gegensteuern?

Für meine Begriffe hat die Stadt das Thema schon aufgegriffen. Sie zahlt ja bereits einen erhöhten Grundsicherungsbetrag für Bedürftige. Es geht nun darum, die Hilfen und Angebote zu erhalten und auszubauen. Seit zwei Jahren gibt es auch mit dem ASZ Plus, den erweiterten Alten- und Servicezentren, ein noch besseres Angebot. Auch wir machen Hausbesuche für Menschen, die von allein nicht kommen wollen oder können, aber dringend Unterstützung brauchen, um sie zu beraten, welche Leistungen es gibt und welche sie in Anspruch nehmen können.

Was müsste auf Bundesebene getan werden? Geht das Konzept von Bundesarbeitsministerin Nahles weit genug?

Immerhin, wir haben ja derzeit eine Rentendiskussion. Es ist positiv, dass Andrea Nahles nun die Mindestrente beschreibt, dass man nun definiert, was man mindestens als Rente braucht - und nicht nur beschreibt, was die Arbeitgeber maximal leisten wollen. Es ist gut, dass wir nun offen über das Problem Altersarmut reden. Wichtig ist aber auch, das Sozial- und Gesundheitssystem so auszustatten, dass ein würdiges Leben im Alter ermöglicht wird.

Wenn die Altersarmut weiter so zunimmt: Wie wird es um die Rentner in München in zehn, 20 Jahren stehen?

Mein Horrorszenario wäre: Wir haben dann einen Suppenküchenstaat. Wer etwas für Bedürftige spendet, wird gefeiert, die Essensausgabe dagegen findet deutlich versteckter statt. Das wäre ein Rollback des Sozialstaates um hundert Jahre. Man sieht es ja heute schon: Wer darauf angewiesen ist, nach 40 oder 45 Jahren Arbeit trotzdem weitermachen zu müssen und dann auf Suppenküchen oder Tafeln angewiesen ist ... Aber es kann auch ein anderes Szenario geben: Münchner Stadtquartiere, in denen viele Generationen und unterschiedlichste Menschen gemeinsam leben, wo sie gegenseitig ihr Leben bereichern und sich engagieren können. Wir von der Arbeiterwohlfahrt haben so eine Einrichtung, die fast schon modellhaft ist. Dort herrscht eine tolle Atmosphäre, man schaut und achtet aufeinander.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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