Umwandlung wirft viele Detaifragen auf:Sklavenarbeit für die Volksgesundheit

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Bio im Zeichen des Hakenkreuzes - die ehemaligen Gewächshäuser. (Foto: Niels P. Jørgensen)

In Dachau betrieben die Nazis einen riesigen "Kräutergarten", in dem die Häftlinge schuften mussten. Auch dieses Areal soll zum Erinnerungsort werden

Von Gregor Schiegl, Dachau

Vom "größten Heilkräutergarten Europas", den die Nazis neben dem Konzentrationslager Dachau von Häftlingen anlegen und in Sklavenarbeit bewirtschaften ließen, ist heute kaum mehr etwas zu sehen. Ein Großteil der 147 Hektar ist überbaut. Die alten Lehrgebäude stehen noch, die Reste der Gewächshäuser sind, soweit noch vorhanden, rostig und verfallen. Auf dem Areal des sogenannten Kräutergartens war eine Lehr- und Forschungsanstalt angesiedelt, die der "Deutschen Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung" angegliedert war, sie unterstand dem SS-Reichsführer Heinrich Himmler. Abseits der naturwissenschaftlichen Modelle, die als jüdisch verdächtigt wurden, sollten hier neue Konzepte entwickelt werden, um die deutsche Volksgesundheit zu stärken, insbesondere die der Soldaten an der Front. Für sie wurde Vitamin C aus Gladiolen hergestellt, der Anbau erfolgte nach den Regeln des organisch-dynamischen Anbaus. Bio im Zeichen des Hakenkreuzes.

Nach der Befreiung des Konzentrationslagers wurde die Anlage als Gartenbaubetrieb weitergeführt, die Gewinne kamen Überlebenden zugute. Doch schon bald machten die Lohnkosten die Anlage unrentabel. 1949 wurde der Betrieb eingestellt, die 400 Mitarbeiter entlassen. 1957 erwarb die Stadt Dachau das Areal und verpachtete es der Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoffforschung (IVG) in Hannover. Deren Präsident war Professor Hans-Adalbert Schweigart, der schon 1931 Mitglied der SA und der NSDAP gewesen war. Schweigart galt als glühender Verfechter der nationalsozialistischen Ernährungswissenschaft und "Lebensreformbewegung". Während des Kriegs entwickelte er Ernährungspläne für die Wehrmacht.

1965 gab die IVG ihren Standort in Dachau auf, im selben Jahr wurde die KZ-Gedenkstätte eröffnet. Einige historische Gebäude waren zu dieser Zeit bereits abgerissen, ein nicht unerheblicher Teil des Areals mit Wohnhäusern überbaut; der Kräutergarten wurde in den Gedenkstättenkomplex nicht integriert. Bürger wie Stadtobere pflegten zu dieser Zeit noch ein distanziertes, ja, feindseliges Verhältnis zur Gedenkstätte. Viele behaupteten, Dachau habe nie etwas mit dem KZ zu tun gehabt, Abwehrreflexe beherrschten den Umgang mit der Nazizeit. Bis in die 1980er Jahre bemühte sich die Stadt, der NS-Geschichte die künstlerischen Glanzpunkte ihrer 1200-jährigen Historie gegenüberzustellen. Das Wort vom "anderen Dachau" machte die Runde: die Stadt von Ludwig Thoma; die Künstlerkolonie mit Carl Spitzweg und Adolf Hölzel. Derweil rückte die Stadt näher an die Gedenkstätte heran, das riesige Areal der Plantage verschwand größtenteils unter einem neu ausgewiesenen Gewerbegebiet. In den 1990er Jahren setzte ein Sinneswandel ein, inzwischen gilt das Bekenntnis zum "Lern- und Erinnerungsort Dachau" als selbstverständlich. Die Idee, den Kräutergarten zur Gedenkstätte umzuwandeln, hat in Dachau viele Fürsprecher. "Es ist unglaublich positiv, was wir in den vergangenen zwei Jahren von Kommunalpolitikern und Bürgern aus Dachau gespürt haben", sagt Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann. "Für mich ist das eine ganz neue Qualität."

Inzwischen laufen Gespräche zwischen Bund, Freistaat, Gedenkstätte und der Stadt zur Umwandlung des Areals in eine Gedenkstätte. "Es ist wichtig, diesen Ort in die Erinnerung miteinzubeziehen", sagt Hammermann. Er habe eine "historisch ausgesprochen enge Verbindung" zum Lager, "für die Häftlinge war es eines der schlimmsten Außenlager." Zwischen 1939 und 1945 starben auf der Plantage mehr als 800 Häftlinge. Unter der Aufsicht von brutalen Kapos und SS-Männern schufteten sie unter primitivsten Bedingungen. Bei Regen versanken sie im Schlamm, im Sommer plagten sie sich in der prallen Sonne mit Spitzhacken am steinharten Boden ab. Dieser Teil der Geschichte soll nun wieder sichtbar gemacht werden.

Noch wird um viele Detailfragen gerungen: Wie weit kann man die verfallene Bausubstanz sanieren? Wie viel darf man rekonstruieren? In wieweit muss man die Anlage sogar einem kontrollierten Verfall überlassen? "Als Stadt halten wir uns da raus", sagt Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD). "Das überlassen wir den Fachleuten." Die Stadt werde versuchen, die Empfehlungen umzusetzen. Langfristig will Hartmann das Areal ganz oder in Teilen an den Freistaat abgeben.

Ein Problem muss zuvor noch gelöst werden. 2014 wurde unter Hartmanns Vorgänger eine Obdachlosenunterkunft in den ehemaligen Verwaltungsgebäuden am Kräutergarten eingerichtet. "Es ist keine sehr glückliche Situation", sagt der OB. "Solange ich keine anderen Räumlichkeiten für die Obdachlosen habe, kann ich das Gebäude nicht hergeben." Diese Zweckentfremdung ist kein Novum. Nach dem Krieg dienten die Baracken des ehemaligen KZ als Behausung für Flüchtlinge. Es entstand auch ein kleiner Lebensmittelladen. In dem Block hatten die Nazis zuvor medizinische Experimente an Gefangenen durchgeführt.

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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