Ein Bündnis zahlreicher Vereine und Institutionen, allen voran der Ausländerbeirat, will einigen Münchner Straßen neue Namen geben. Jenen Straßen, die an führende Personen oder verbrecherische Ereignisse aus der deutschen Kolonialzeit erinnern. Der Kommunalausschuss des Stadtrats hat das kürzlich mit großer Mehrheit abgelehnt, nur die Linkspartei hat gegen die alten Namen gestimmt. Doch das Votum, das ohne Diskussion erging, könnte der Beginn einer neuen Debatte sein. Wie geht die Stadt mit der deutschen Vergangenheit in Afrika um? Und wie wirkt sich das auf das Verhältnis zu den Münchnern aus, die afrikanische Wurzeln haben?
2003 kam das Thema erstmals auf die Agenda im Rathaus. Siegfried Benker, damals Fraktionschef der Grünen, hat über Jahre vehement für Umbenennungen gekämpft. Nach heftigen und emotionalen Diskussionen wurde 2006 die Straße in Waldtrudering umbenannt, die an General Lothar von Trotha erinnerte. Sie heißt jetzt Hererostraße, nach jenem Volk in Namibia, das einem Völkermord zum Opfer fiel. Später wurden andere Straßenschilder mit Hinweisschildern versehen, die in wenigen Worten Orte und Person historisch einordnen. Seither war in München Ruhe, zumindest in Sachen Kolonialnamen. Landauf, landab aber wurde weiter über Namen aus anderen Epochen diskutiert, ob etwa eine Schule weiter den Namen Wernher von Brauns tragen soll. In München wurde die an Bischof Hans Meiser erinnernde Straße umbenannt, sie heißt nun Katharina-von-Bora-Straße.
Der Umgang mit der deutschen Kolonialgeschichte ist wieder aktuell, seit im vergangenen Jahr der Ausländerbeirat einstimmig den Stadtrat aufforderte, zwölf Straßen in Bogenhausen und Trudering umzubenennen. Darunter sind jene, die an die Militärs Hans Dominik, Hermann von Wißmann oder Karl von Gravenreuth erinnern. Neu benannt haben möchte das Gremium aber auch Straßen, die nach Orten wie Waterberg oder Windhuk benannt sind, wo in Schlachten oder Gefangenenlagern unzählige Afrikaner starben.
Ein Jahr dauerte es, ehe sich Mitte Juli der Stadtrat mit dieser Forderung beschäftigte. Kommunalreferent Axel Markwardt schlug vor, alles zu lassen, wie es ist. Seit der großen Debatte habe man keine neuen Erkenntnisse gewonnen, "die Argumente von Befürwortern und Gegnern sind im Wesentlichen nach wie vor dieselben". Für den Status quo stimmten auch die Grünen, die früher für eine Umbenennung diverser Straßen gekämpft hatten. Ihren Sprecher lässt die grüne Fraktion ausrichten, dass man "dieses Fass" jetzt nicht erneut aufmachen wolle, SPD und CSU würden ohnehin nicht mitziehen. Außerdem wäre es eine "Zumutung" für die Anwohner in diesen Straßen, wenn ihnen das Rathaus eine neue Adresse von oben aufdrücken würde. Die Grünen hätten das Gefühl, dass das Thema einen gesellschaftlichen Konsens benötige, dafür aber müsse man wohl noch eine halbe Generation warten.
"Äußerst bedauerlich" nennt das jener Mann, der jahrelang die grüne Fraktion geführt hat: Siegfried Benker plädiert weiter für eine Umbenennung zumindest jener Straßen, die das Stadtarchiv 2004 als besonders problematisch eingestuft hat, weil sie an Dominik, von Gravenreuth und Wißmann erinnern. Entsprechend trägt Benker auch die Forderung der Umbenennungsinitiative mit: "Koloniale Verbrecher dürfen in einer Stadt, die sich als weltoffen versteht, nicht weiter geehrt werden."
An der Spitze dieser Initiative steht der aus Burkina Faso stammende Hamado Dipama, Vorstand des Arbeitskreises Panafrikanismus und Mitglied im Ausländerbeirat. In der afrikanischen Community werde seit Jahren über diese Straßen diskutiert, weil so Kolonialverbrechen verharmlost würden, sagt er. Die Schilder zeugten von fehlendem Respekt gegenüber afrikanischen Bürgern in München und seien eine "Verletzung der Menschenwürde". Besonders empörend empfänden viele, dass die Stadträte nicht einmal über den Antrag des Ausländerbeirats diskutierten.
CSU-Stadtrat Hans Podiuk ist vehementer Gegner von Umbenennungen und findet, dass man es mit dem "friedenstiftenden Kompromiss" von 2009, der die Erläuterungen an den Schildern brachte, gut sein lassen solle. Würde man überall die heutigen Maßstäbe anlegen, müsste man jede fünfte Münchner Straße umbenennen. "Das kann schon sein, dass sich die betroffen fühlen", sagt er zum Argument Dipamas, dass man in der afrikanischen Community die Schilder als verletzend empfinde. Er, Podiuk, sei aber sicher, dass der Ausländerbeirat in seinem Engagement von außen beeinflusst sei. Er glaube nicht, dass Afrikaner so gut Bescheid wüssten über die deutsche Kolonialgeschichte: "Die dürfte da nicht so bekannt sein."
Im Gespräch mit Dipama gewinnt man jedoch durchaus den Eindruck, dass er historische Ahnung hat. Er werde, sagt er, zusammen mit den anderen Gruppen jedenfalls nicht ruhen, ehe diverse Straßen andere Namen tragen.