Übung für den Ernstfall:Feuerball auf dem Münchner Flughafen

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Mit mehr als 800 Teilnehmern proben Feuerwehr, Rettungskräfte und die Katastrophenschutzbehörde Erding die Bergung von Verletzten nach einer Notlandung

Von Jasmin Siebert

München - Um 0.50 Uhr geht die Meldung bei den Fluglotsen ein: "Air Erding mit brennendem Triebwerk, Landung in zwei Minuten!" Da erhellt auch schon ein Feuerball den Nachthimmel, es knallt, explodierende Feuerwerkskörper malen farbige Streifen. Dann liegt Stille über dem Übungsgelände der Flughafenfeuerwehr, die ersten drei Löschwägen rücken an und richten ihre Wasserwerfer auf den rostroten Rumpf einer Flugzeugattrappe. 97 Personen befinden sich an Bord, darunter 15 Schwerverletzte. Einigen Dummys werden die Einsatzkräfte später schwarz-gelbe Bänder an die Handgelenke binden, sie sind damit als tot gekennzeichnet.

Die Gesetze schreiben alle zwei Jahre Notfallübungen auf internationalen Flughäfen vor. Doch eine Katastrophe derartigen Ausmaßes, wie sie in der Nacht von Freitag auf Samstag zu Übungszwecken am Münchner Flughafen inszeniert wurde, ist ein Novum: Mehr als 800 Teilnehmer erproben den Ernstfall, der hoffentlich nie eintreten wird - als Feuerwehrleute, Rettungskräfte, Unfallopfer und als Beobachter. Trainiert werden soll auch die Kommunikation zwischen Einsatzkräften und Behörden. "Landratsamt Erding Katastrophenschutzbehörde" steht auf den neongelben Jacken, die Landrat Martin Bayerstorfer und seine Mitarbeiter zu ebenfalls neongelben Hosen tragen. Der Landrat wäre im Katastrophenfall politisch verantwortlich.

"Wir bieten viele herausfordernde Szenarien", verspricht Übungsleiter Alexander Tumann, der das Notfallszenario mit seinem Team über ein Jahr lang vorbereitet hat.

Seine größte Sorge ist, dass es einen echten Notfall während der Übung geben könnte. Den gab es erst hinterher, das fiktive Unglück konnte ungehindert seinen Lauf nehmen. Zehn Minuten nach der Alarmierung ist das Feuer gelöscht. Die ersten Verletzten humpeln die Flugzeugtreppe hinunter, andere werden von Feuerwehrmännern zum Patientensammelplatz getragen. Bald erfüllt ein schreckliches Gestöhn und Geschrei das Übungsgelände. Auf dem nassen Boden sitzen und liegen zitternde Menschen, größtenteils Jugendliche, mit offenen Fleischwunden am ganzen Körper. Bei einem Mädchen hängen die Gedärme aus dem Bauch. "Lukas! Wo ist Lukas?", schreit ein Mann immer wieder. So wird es über eine Stunde weitergehen. Denn die Notärzte, die zuerst eintreffen, sichten die Unfallopfer nur und hängen ihnen Karten um den Hals: Rot steht für schwer verletzt, gelb für mittelschwere und grün für leichte Verletzungen. "Hilfe, es ist so kalt", jammert Alex Schmaus, der Brandwunden an den Armen, am Oberkörper und im Gesicht hat. Er hat bei der ersten Sichtung eine grüne Karte verpasst bekommen - eine Fehleinschätzung, laut Drehbuch hat er mittelschwere Verletzungen. Der 23-Jährige engagiert sich ehrenamtlich bei den Maltesern in Ebersberg. Um 19 Uhr waren er und die anderen Ehrenamtlichen bei der Freiwilligen Feuerwehr in Oberding zusammengekommen, um sich realistisch anmutende Wunden schminken zu lassen. Quälend lange sitzen sie nun in der kalten Septembernacht, während die Feuerwehrleute noch immer neue Opfer nach draußen tragen. Ehe nicht alle Opfer eine Karte um den Hals tragen, wird niemand medizinisch versorgt, nur dünne Decken werden verteilt. "Ziel ist, dass möglichst viele Menschen überleben und nicht den als Ersten zu versorgen, der am lautesten schreit", erklärt Jörg Leiwering, Chef der Flughafenfeuerwehr. Erst 50 Minuten nach Übungsbeginn werden die ersten Verletzten auf Tragen geschnallt und in Rettungswägen gebracht.

"Warum dauert das alles so lange? Ist das normal?", fragen Journalisten immer wieder .

Ob es nun wirklich zu lang gedauert hat, bis die Opfer Hilfe bekamen - darüber gibt es während der Übung geteilte Meinungen. "Es ist realistisch", meinten Unfallopfer Alex und ein Beobachter, der sich Notizen auf einem Klemmbrett macht, eine halbe Stunde nach der fiktiven Notlandung. Während Landrat Bayerstorfer ein überaus positives Fazit zieht, sieht Leiwering noch Verbesserungspotenzial in der Organisation des Rettungswesens. Es hätte sehr lange gedauert, bis ausreichend Sanitäter eingetroffen seien. Schneller reagieren könnte die Werksfeuerwehr des Flughafens, unter den 250 Mitarbeitern sind viele ausgebildete Sanitäter. Doch ihnen fehlt die Befugnis, zuständig bleibt auch im Katastrophenfall das öffentliche Rettungswesen.

Ein tragisches Ende nahm die nächtliche Notfallübung für zwei ehrenamtliche Sanitäter aus dem Landkreis Passau, die Unfallopfer gespielt hatten: Auf der Rückfahrt nach Passau kam ihr Rettungswagen gegen halb sieben Uhr morgens von der Straße ab - vermutlich war der 52-Jährige Fahrer eingeschlafen. Beide Männer wurden mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht, einer sogar im Hubschrauber.

© SZ vom 11.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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