Überfall:Zehn Zentimeter Leben

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Vor Gericht schildert Markus S., wie ihm ein Räuber vor 24 Jahren in seinem Edeka-Laden in den Bauch schoss - ein kleiner Zufall rettete ihm das Leben. Jahrelang lebte S. in Angst, bis heute hat er Beschwerden. "Aber ansonsten hab' ich die Sache ganz gut verdaut", sagt er

Von Susi Wimmer

Angst. Sie war für lange Zeit die tägliche Begleiterin von Markus S. Angst, wenn er die Tageseinnahmen wegbringen musste, Angst in seinem Laden - und Angst, wenn zur Wiesnzeit Menschen mit spitzen grauen Filzhüten durch die Gegend liefen. Denn genau solch einen Hut trug der Räuber, der den Geschäftsinhaber Markus S. im April 1993 mit zwei Schüssen verletzte. Nun, fast 24 Jahre später, sitzt der mutmaßliche Täter auf der Anklagebank. Und Markus S. spürt wieder die Angst von damals.

S. ist heute 73 Jahre alt, ein Rentner mit grauem Schnauzer und Brille. Seine Hände suchen an den Armlehnen des Stuhls Halt, dann läuft vor seinem inneren Auge der Film von damals ab. Es ist erstaunlich, wie detailliert sich der Mann erinnert. "Es war ein Dienstag", fängt er an. Er habe seinen Edeka-Laden an der Implerstraße wie immer um 18.30 Uhr geschlossen, sei wie immer ins Kellerbüro gegangen, um die Kasse zu machen. Um kurz vor 20 Uhr habe es an der Hintertüre geläutet. Oben war die Verkäuferin, die öffnete. Sie wurde von einem der Männer in die Toilette gedrängt. Der zweite lief nach unten ins Büro. Es war der Mann mit dem grauen Filzhut. Den hatte er über das Gesicht gezogen und auf Augenhöhe Schlitze hineingeschnitten.

S. saß an seinem Schreibtisch, als der Mann sein Büro betrat. "Geh', mach doch koa Gaudi ned", redete er den Räuber an, während dieser eine Pistole mit Schallschutzdämpfer auf ihn richtete. Es war nur ein Bruchteil einer Sekunde, der über Leben und Tod von Markus S. entschied. Denn genau in dem Augenblick, in dem der Täter abdrückte, erhob sich der Geschäftsmann aus seinem Stuhl. "Wenn ich sitzen geblieben wäre, hätte die Kugel mein Herz durchbohrt", sagt er.

So drang das Projektil zehn Zentimeter weiter unter in seinen Körper ein. Offenbar aufgepeitscht durch das Adrenalin bemerkte er den Einschuss überhaupt nicht , wie S. sagt. "Es hat nur Blubb gemacht." Dann ging er auf den Räuber los, drückte seine Waffe nach unten und versuchte, an ihm vorbei zu fliehen. Da rastete der Täter offenbar aus. Er riss sein Opfer zu Boden, sprang regelrecht auf seinen Fuß, sodass der Fußknochen brach. Dann trat er "bestimmt 20-mal" auf den Unterleib von Markus S. ein. Und er schoss sein Opfer ein zweites Mal an, in den Oberschenkel. "Die Tageseinnahmen sind schon weg", versicherte S. dem Täter immer wieder. Tatsächlich war das Geld noch im Büro. Dann verschwand der Spitzhut-Mann im Nebenraum, dort lag ein Jutesack mit Münzgeld. Markus S. hörte ein Scheppern. Die Münzen habe der Täter wohl aus Wut durch den Raum geworfen, mutmaßt er. Dann seien die Männer mit etwa 1500 Mark Wechselgeld verschwunden.

Der Jutesack ist es übrigens, der einen Ermittler der Mordkommission auf die Spur des heute Angeklagten brachte. Im Rahmen der Altfallbearbeitung sichtete er die Asservate von 1993 und es fiel ihm ein rot-brauner Fleck auf dem Sack auf. Offenbar hatte sich der Täter beim Durchwühlen des Büros verletzt und geblutet. Die auf dem Sack gesicherte DNA-Spur führte zu einem Mann, der seit 21 Jahren im Gefängnis sitzt: Ilija I., ein heute 50-jähriger Kroate. Er war in Deutschland zu mehr als zehn Jahren Haft wegen Raubüberfalls verurteilt worden, in Wien zu lebenslanger Haft wegen Mordes an einem Gemüsehändler. Und er wird in Ungarn wegen Mordes an einem Devisenhändler angeklagt.

Markus S. hat übrigens als Folge des Überfalls seinen Laden nach zwei Jahren aufgegeben und ist in Frührente gegangen. Noch heute hat er Beschwerden beim Gehen. "Aber ansonsten hab' ich die Sache ganz gut verdaut", sagt er. Trotzdem wäre es für ihn auch nach all den Jahren noch eine Erleichterung und Genugtuung, wenn der Täter überführt und verurteilt würde.

© SZ vom 24.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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