Typologie der Münchner Schickeria:Von Adabeis und heißen Hasen

Früher gab es Stars, heute nur noch Prominente: Wer in der Münchner Bussigesellschaft dazugehören will, muss sich zum Deppen machen. Vor 25 Jahren, als Baby Schimmerlos erstmals in der TV-Serie "Kir Royal" wütete, war das noch anders. Eine Typologie der Schickeria im Wandel der Zeit.

Typologie der Münchner Schickeria

Schönheitschirurg Werner Mang, Chef der Bodenseeklinik.

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(Foto: oh)

Früher gab es Stars, heute nur noch Prominente: Wer in der Münchner Bussigesellschaft dazugehören will, muss sich zum Deppen machen - den Busen zeigen, dumme Sprüche klopfen, bei jedem Blödsinn dabei sein. War das anders in den 1980-er Jahren, als Baby Schimmerlos mit dem Fotografen Herbie Fried in der TV-Serie Kir Royal auf die Jagd ging? Mutmaßlich schon. Eine Typologie über die Münchner Bussigesellschaft im Wandel der Zeit. Der Promi-Arzt Die Frage ist, wie man das wird: Promi-Bohrer. Oder Nasen-Mang. Die wenigsten Mediziner, die zur Prominenz zählen, tun das wegen herausragender Leistungen auf wissenschaftlichem oder therapeutischen Gebiet. Vielmehr akquirieren sie ihre Kundschaft bei den gleichen Veranstaltungen, die sie selbst in ihrem Status als Promi-Arzt bestärken, was ein Perpetuum mobile ist: Wenn einer in den Medien ständig als Promi-Arzt tituliert wird, dann glauben natürlich alle, die selbst prominent sein wollen, sie müssten sich bei ihm behandeln lassen, wenn der Weisheitszahn zwickt oder das Dekolleté einer Generalsanierung bedarf. Den Promi-Arzt umweht dann der Hauch des Geheimnisträgers, denn er weiß, wer sich "die Augen hat machen lassen" oder wer es mit der Zahnhygiene nicht so genau nimmt. Natürlich würde der Promi-Arzt nie erzählen, wen er alles behandelt hat - nicht nur wegen des Arztgeheimnisses, sondern auch, weil es ihm die Geschäftsgrundlage entziehen würde. Urologen oder Proktologen finden sich übrigens praktisch nie unter den Promi-Ärzten - Probleme mit der Potenz und dem, was hinten rauskommt, eignen sich nicht für Gespräche zum Champagner. Stephan Handel Das Foto zeigt Schönheitschirurgen Werner Mang.

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(Foto: AP)

Der Promi-Koch In der Fernsehserie taucht gleich in der ersten Folge das Promi-Lokal Champs Elysées auf, das es in Wirklichkeit natürlich nicht gibt. Phänotypisch war es am ehesten dem alten Kay's Bistro am Viktualienmarkt nachempfunden. Im Film wird das blau-weiß-rot geschmückte Lokal von einem geschäftigen Schwulenpaar, Puppi (Harald Leipnitz) und Paula (Peter Kern), betrieben; auf der Speisekarte steht das, was gerade im Trend liegt und was Babys Freundin Mona deshalb schon gestern und vorgestern gegessen hat (den Seewolf, in Champagner pochiert). Dazu trinkt man Kir Royal und - Champagner. Das war gestern. Heutzutage sind Wirte und Köche längst selbst prominent, typische Prominentenlokale gibt es so nicht mehr, sieht man einmal vom P1 ab. Regisseur Helmut Dietl käme heute aber nicht mehr an Charles Schumann und seinen beiden Bars vorbei, wollte er noch einmal eine Serie über die Münchner Gesellschaft drehen. Und erst recht nicht an dem klassenübergreifenden und allgegenwärtigen Alfons Schuhbeck (Foto). Es dürfte allerdings schwer sein, den Starkoch wieder aus dem Bild zu drängen, wenn er einmal drin ist. Franz Kotteder

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(Foto: dpa/picture alliance)

Der Fotograf Die Fotografen von heute haben nur einen Vorteil gegenüber dem so herrlich harmlos schlurfenden Herbie alias Dieter Hildebrandt (rechts). Während der noch stundenlang unter größter Spannung in der Dunkelkammer darauf hoffte, dass das Bild vom Banz auf der Kutsche etwas geworden ist, muss der Gesellschaftsfotograf heute nur einmal kurz auf sein kleines Display schauen, und im Zweifel lässt er eine Bildsalve vom Supermotiv durch die digitale Spiegelreflex rattern. Wobei ein exklusives Foto in München ohnehin nicht mehr zu bekommen ist. Mit im Turban versteckter Kamera knipsen oder mit der Spezialoptik durchs Schlüsselloch? Das war vor 25 Jahren, heute muss man meutenkompatibel sein. Es setzt sich durch, wer auf dem roten Teppich am lautesten den Vornamen brüllt und dafür ein schönes Lächeln bekommt. Das kann er aber nur dann in ein gelungenes Foto umsetzen, wenn er die Ellenbogenrempler mit Antizipation und Körperspannung ausgleichen und die Kamera ruhig halten kann. Und eines hat sich nicht verändert: Herbie und Co tun sich noch immer schwer, jemanden groß rauszubringen. Denn wer reinkommt, entscheidet noch immer der Baby. Philipp Crone

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(Foto: oh)

Der Klatsch-Reporter Ach Baby. Wenn man ihm zusieht, mit welcher Hingabe, mit welcher Leidenschaft und Leidensfähigkeit dieser Schimmerlos (links) seinen Job macht, muss man neidisch werden: Gab es jemals einen Klatschreporter - im wahren Leben und in der Fiktion - der sein Handwerk auf so durchtriebene Weise beherrschte? Franz Xaver Kroetz spielte diese Figur als journalistischen Anarchisten, der sich seine Regeln selbst setzt. Melancholisch und größenwahnsinnig, oft grantig, gelegentlich genial, ein verführbarer Verführer. Baby Schimmerlos war, wenn man so will, der letzte allwissende Erzähler auf dem Boulevard - er kannte alle, und er konnte mit einer Schlagzeile eine ganze Stadt in Aufregung versetzen. Das waren die achtziger Jahre, ein goldenes Zeitalter für die Münchner Zeitungen. Mittlerweile drängeln sich auf jeder Veranstaltung zwei Dutzend Fernsehteams, statt Partys gibt es von PR-Agenturen organisierte Events. Ach Baby. Ist das noch deine Welt? Nicht mehr ganz. Der Typus des Gesellschaftsreporters ist verschwunden, wenn man mal vom offenbar unzerstörbaren Michael Graeter absieht. Klatsch und Champagner halten eben jung, so schaut's aus. Christian Mayer

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(Foto: oh)

Die Verlegerin Wenn Friederike von Unruh ihren Reporter von ihrer Auffassung einer gelungenen Blattgestaltung überzeugen wollte, stieg sie auch mal auf einen Couchtisch. Sie lupfte dann den Rock und lies den staunenden Baby ihre operativ von allerlei Hässlichkeiten befreiten Beine bewundern. Dann erklärte Frau von Unruh, wie sie sich die Berichterstattung über besagten Chirurgen vorstellt: "So will ich das haben. Kutsche, Weißwürste, Telefonaktion, und hier in München, in meiner Zeitung, und exklusiv." Friederike von Unruh, gespielt von Ruth Maria Kubitschek (rechts), war unschwer erkennbar angelehnt an die Münchner Zeitungsverlegerin Anneliese Friedmann. Frau von Unruh war eine Unternehmerin, die sich mit vollem Einsatz bis in die Titelzeilen in ihre Zeitung einmischte. Man muss nicht romantisch werden beim Gedanken an alte Zeiten. Da diktierten die mit dem Geld denen mit der Schreibmaschine täglich in die Feder. Den Friedmanns gehört heute noch immer die Abendzeitung. Andere Verlage sind oft Großkonzerne, gern mit Sitz in einer Stadt weit weg vom Ort des Zeitungsgeschehens. Mitreden wollen die natürlich auch. Bein zeigen sie fast nie. Katharina Riehl

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(Foto: dpa)

Der Adabei Herbie, der Fotograf, versucht es immer wieder. Mit der jungen Blonden, die damals das Motto lebt: Sex sells. Wobei ihre Freizügigkeit Babys Kompagnon gegenüber zunächst noch an der harten und unbestechlichen Bildauswahl des Reporters scheitert ("Die kommt raus, die süße Maus!"). Doch als die Maus das Dekolleté lüftet, ist sie dann doch drin. So funktioniert das heute auch, zum Beispiel mit dem sogenannten Starlet Davorka. Ein Starlet, das ist eine Frau, von der man nicht weiß, warum sie in der Zeitung steht. Davorka hat es mit durchsichtigen Blusen und freizügigen Einblicken bis in den Spiegel geschafft. Andere Adabeis, die im Jahr 2011 in die Klatschspalten der Magazine kommen wollen, müssen zwar nicht mehr wie zu Babys Zeiten auf den Tischen tanzen, dafür auf dem roten Teppich. Heute wie damals im Film gilt: Je bescheuerter die Geste, die Grimasse oder beides, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Protagonist es damit ins Blatt schafft. Gerade in diesen Tagen, bei den ersten Wiesnevents, kann man das wieder wunderbar sehen. Eine Zungensportlerin wie Claudia Effenberg (Foto) zum Beispiel, auf die wäre selbst Helmut Dietl nicht so schnell gekommen. Philipp Crone

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(Foto: REUTERS)

Der Modezar "Zieh's aus, bevor mir übel wird", sagt König Butzi und schürzt die Lippen. In der wunderbaren Folge vier will es der Boutiquenzar militärisch, das Modedekret gilt für tout Munich inklusive "Monalein". Weil ihr Haar aber nicht passt, darf sie den letzten Schrei, Tarngrün mit Schulterklappen, nicht tragen. Sie verpasst sich den virilen Marine's Look trotzdem, samt Stoppelfrisur, und es folgt eine Liebes- und Bettkrise mit dem verstörten Baby. Abgesehen von Charles Regniers Großauftritt als näselnder Butzi - die Episode überspitzt auf ziemlich böse Weise die Modehörigkeit der Achtziger, als man Schwabing für die Fashionzentrale des Universums hielt und das Volk jeden Firlefanz brav auf die Straße brachte. Vorbild für Butzi könnte Manfred Schneider gewesen sein, der damals als auskunftsfreudiger Schickeriadesigner von München aus eine Weltkarriere zu starten schien. Das waren noch Zeiten, als ein Wort eines solchen Stars Rocklängen besiegelte. Ein Mann, ein Look. Mittlerweile bestimmen Fashionblogger, was getragen wird. Und es sagt auch keiner solche Sätze mehr wie Schneider, als 1987 der Mini wiederkam. "Plötzlich sind die Weiber wieder reif dafür." Anne Goebel Das Foto zeigt den im Januar 2005 gestorbenen Münchner Modezaren Rudolph Moshammer.

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(Foto: dpa)

Der Industriemagnat Generaldirektor Heinrich Haffenloher spricht das wohl berühmteste Zitat in Kir Royal: "Ich scheiß dich sowas von zu mit meinem Geld" - so macht er Baby Schimmerlos seinen Willen zur Korruption und seine Überzeugung von der Korrumpierbarkeit eines jeden deutlich. In Wahrheit war das mehr oder weniger diskret zugesteckte Geldkuvert schon damals irgendwie ein bisschen Äbäh. Tatsächlich spielt sich Einflussnahme - ob in der Wirtschaft, in der Politik oder der Society - bis heute anders ab: Freundlichkeit, Zuwendung, ab und zu eine exklusive Indiskretion sorgen für ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen dem Berichterstatter und seinem Gegenüber. Und so wäre der tumbe, provinzielle Haffenloher heute wahrscheinlich eher der smarte Chef eines Start-up-Unternehmens, der mit dem Reporter einen trinken geht, ihn bittet, doch mal über die Pressemitteilung drüberzuschauen, ihm fürs Wochenende den Porsche leiht oder dafür sorgt, dass der neue Laptop um einen Hunderter billiger rüberkommt. Und bevor's der Reporter merkt, ist er dem smarten Jungunternehmer so verpflichtet, dass der in der nächsten Kolumne einfach vorkommen muss. Stephan Handel

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(Foto: dpa)

Der Ministerpräsident Der bayerische Regent, in Kir Royal vom Wiener Georg Marischka verkörpert, hat sich vielleicht am wenigsten von allen Figuren der Serie verändert. Gut, er ist nicht mehr ganz so selbstherrlich wie früher, weil man selbst in Bayern inzwischen Kompromisse schließen muss; das alte Spezlsystem funktioniert ja nur noch bedingt, wechselnde Zweck-Allianzen haben feste Seilschaften abgelöst. Vorbild für die Serie war natürlich der Charmeur und Schlawiner Franz Josef Strauß (Foto), der im Film fast schon zu einfühlsam dargestellt wird. Dieser Ministerpräsident hat etwas Rührendes, er muss Fußbäder nehmen und wirkt immer ein wenig müde, wenn ihn seine Einflüsterer bedrängen - manchmal weiß er vor lauter Empfängen nicht, was der Anlass für die Feier ist. Horst Seehofer weiß fast immer, wo er ist, er denkt da pragmatischer als Strauß. Im Sticheln und Taktieren verhält sich Seehofer dagegen fast so geschickt wie das große Vorbild. Allerdings hat er keine Amigos mehr, nur noch Parteifreunde wie den chamäleonhaften Markus Söder, der erstaunlich schnell seine Grundfarbe wechseln kann. Solche Figuren sind eigentlich ideal für eine Fernsehserie. Christian Mayer

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(Foto: Claus Schunk)

Die Königin So eine unrealistische Geschichte! Michaela May als Königin von Mandalia besucht in der fünften Kir-Royal-Folge München - und die Stadt steht Kopf. Mit einem Korso geht es durch die Stadt, überall jubeln die Menschen und halten Plakate hoch, die ganze Stadt ist auf Hochglanz herausgeputzt. Also wirklich, das ist doch übertrieben. Oder? Wie war das, als Victoria von Schweden (Foto) im Mai nach München kam? Mit einem Korso ging es durch die Stadt, überall jubelten die Menschen, riefen "Victoria, we love you!", hielten Plakate hoch, und im Hofgarten, wo sie zuerst Halt machte, hat die Protokollabteilung der Bayerischen Staatsregierung die Schmuddelecken unter den Arkaden noch säubern und von Buchsbäumen verstellen lassen. Zwar ist Victoria nicht "die heißeste Hos'n im Hasenbergl", was seinerzeit Baby und Herbie über die Vergangenheit der Prinzessin von Mandalia herausfanden, dafür hat auch Victorias Geschichte in München begonnen, als sich ihre Eltern hier kennenlernten. Einziger gravierender Unterschied zwischen Serie und Realität: In Wirklichkeit endet der royale Besuch ohne Skandal, stattdessen mit der Gewissheit: Victoria ist schwanger! Philipp Crone

© SZ vom 22.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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