Tutanchamun-Ausstellung:Zu wissen, es ist Platin!

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Beschwörung des magischen Augenblicks: Die Pharao-Ausstellung in München zeigt ausschließlich Nachbildungen. Über Original und Fälschung im Zeitalter der Eventprotzerei.

Lothar Müller

Jetzt kommt sie also auch nach München, die große "Erlebnisausstellung", mit mehr als 1000 Objekten auf 4000 Quadratmetern: Tutanchamun ist da! Verheißen wird ein Ereignis für alle Sinne, das Publikum sei hingerissen und die Kritik begeistert.

Bis zum 30. August zeigt die Ausstellung "Tutanchamun - Sein Grab und seine Schätze" die Rekonstruktion der Grabkammer des Pharaos. (Foto: Foto: ddp)

Dass es sich dabei nicht um Originale handelt, daraus macht die Ausstellung gar keinen Hehl. Jedermann weiß, dass sich diese, besonders der monumentale Sarkophag, in Kairo befinden und nur äußerst ungern verliehen werden. Stattdessen zeigt der Videotrailer voller Stolz die Handwerker, wie sie hingebungsvoll an den Repliken feilen, und suggeriert so: Wer die Originale sieht, sieht nur deren künstlerische Schönheit; wer aber die Nachschöpfungen erblickt, in dessen Erlebnis geht dazu auch das Wissen um die Kühnheit und Präzision eines abenteuerlichen Projekts ein. Der vorprogrammierten Geringschätzung, die dem "Fake" gilt, wird offensiv begegnet.

Und es lässt sich auf diese Weise etwas zeigen, was in der langweiligen Präsentationsform des Museums ganz unmöglich wäre: Man betritt die Grabkammer im Augenblick ihrer Entdeckung, gerade so, wie sie sich im Jahr 1922 den Archäologen Carter und Carnarvon darbot, als diese, von dem plötzlichen Gleißen aus dem Inneren geblendet, die Meißel und die Kinnladen sinken ließen.

Die Verhaltensforschung kennt den Begriff des "überoptimalen Reizes". So haben z.B. erwachsene Möwen an ihrem Schnabel einen roten Punkt, nach dem die Jungen picken; dann werden sie gefüttert. Es gibt also einen Instinkt, der auf diesen Futterpunkt anspricht. Aber er funktioniert noch weit besser, und die Jungen picken noch eifriger, wenn man ihnen einen größeren und knalligeren roten Punkt vorsetzt, nur leider ohne Elterntier dabei.

Dass sie auf diese Weise kein Futter kriegen können, scheint keine Rolle zu spielen. So rechnet man auch beim zahlenden Publikum mit einer gesteigerten Pulsfrequenz, wenn man ihm das Exponat zum Event steigert.

Keine höheren Schauder

Und kann man hier wirklich einwenden, dass die Besucher ja gar kein richtiges Futter bekämen? Nichts stellt heute eine zweifelhaftere Größe dar als der Nährwert des künstlerischen Originals. Walter Benjamin hat in seinem Aufsatz "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" den Schauwert vom auratischen Wert des Bildwerks geschieden, zwischen die durch die Replizierbarkeit ein Keil getrieben worden sei.

Was den Schauwert angeht, so wird man mit der Vermutung nicht fehlgehen, dass die entsprechenden Techniken heute ausgereift genug sind, um einem Massenpublikum die Unterscheidung von Original und Replik unmöglich zu machen. Es würde in Kairo vor dem wirklichen Sarkophag keine höheren Schauder empfinden als vor der täuschenden Nachahmung. Verfehlt jedoch wäre der Hochmut, der befindet, wem mit einer Kunstpostkarte von der Mona Lisa genauso gedient sei wie dem Gemälde im Louvre, der solle sich in Gottes Namen an die Postkarte halten.

Man sollte nicht vergessen, dass bei diesem Prunkstück Altägyptens andere Aspekte als die künstlerischen den Ausschlag geben. Als Kunstwerk dürfte der Sarkophag dem Kopf der Nofretete unterlegen sein. Aber es handelt sich um das weltgrößte Objekt aus lauterem Gold. Ein Wunder bedeutet es, dass dieser Sarg nicht geraubt und eingeschmolzen wurde. Dass er da ist, nicht dass er Kunst wäre, macht ihn zum bemerkenswerten Faktum.

Hier nun beginnt sich die von Benjamin scheinbar klar gezogene Trennlinie doch wieder etwas zu verunklären. In den Schauwert mengt sich neuerdings ein Element, das als auratisch ausgegrenzt worden war, ein vom reinen Schauen getrenntes Wissen nämlich über die materiale Beschaffenheit des angestaunten Gegenstands.

Beschwörung des magischen Augenblicks

Vor Jahren hatte das Juweliergewerbe eine Kampagne mit dem eingängigen Slogan laufen: "Zu wissen, es ist Platin". Dem Wissenswert kam hier eine deutlich höhere Stellung zu als dem Schauwert, denn was diesen betraf, waren die Schmuckstücke für den unbefangenen Blick nicht vom weit geringeren Silber zu unterscheiden.

Am ehesten dürfte sich das Publikum, dem im Übrigen exzellentes Kunsthandwerk vorgeführt wird, darüber beschweren, dass hier nicht alles Gold ist, was glänzt. Wenn sie es sich hätten leisten können, hätten die Veranstalter diesem Makel bestimmt gern abgeholfen. Dann wäre die hieratische Protzerei der 18. Dynastie wirklich im Maßstab 1:1 in die Eventprotzerei der Gegenwart überführt worden. Wäre man dem Original damit dichter auf den Fersen?

Vor allem aber verspricht die Ausstellung ja etwas, das vorzuführen überhaupt nur in der Simulation gelingen kann: die Beschwörung des magischen Augenblicks, als die Kammer erstmals seit dreitausend Jahren wieder geöffnet wurde und namenloses Staunen hervorrief. Er muss dem ehrlich-faden Museum zur Gänze verloren sein; so etwas überhaupt zu wollen, bleibt dem professionellen Schaumschläger vorbehalten. Insofern handelt es sich bei der ganzen Installation zweifellos nicht um eine Replik, sondern einen Originalbeitrag.

Nun handelt es sich bei König Tut bestimmt um einen besonders komplexen Fall, der aber gleichwohl zeigt, wie fragil der Begriff des Originals geworden ist. Die Nachbildungen werden immer besser. Sie werden so gut, dass man ihnen getrost alle Pflichten populärer Wirkungsmacht aufladen kann; und die lichtempfindlichen, bröckelnden oder sonstwie gebrechlichen Urbilder dürfen, ohne dass die Menschheit sich betrogen fühlen müsste, in den Ruhestand treten. So beginnen sie zu verblassen, nicht nur buchstäblich, sondern auch in ihrer gesonderten Wahrnehmbarkeit.

Schon längere Zeit sind die Höhlenmalereien von Lascaux, die die Ausdünstungen der Touristen nicht vertragen, für die Öffentlichkeit gesperrt, und man wird stattdessen in einer getreuen Replik, die sich gleich daneben befindet, herumgeführt. Nur die Wissenschaftler, für die die verbleibende Minimaldifferenz nach wie vor Bedeutung hat, haben noch Zutritt; aber dabei geht es um wissenschaftliche, nicht um ästhetische Aspekte.

Für die Sixtinische Kapelle im Vatikan, die Scrovegni-Kapelle in Padua wird man sich vermutlich demnächst ähnliche Maßnahmen überlegen. Alt sind sie geworden, die unverwechselbaren Originale, so alt, dass ihre Unverwechselbarkeit gelitten hat. Schonen wir sie ein wenig, indem wir sie von dem fragwürdigen Vorzug des Einmaligen ein Stück weit entbinden.

© SZ vom 07.04.2009/brei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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