Trickbetrüger-Bande vor Gericht:20.000 Euro für den falschen Vetter Rainer

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Die Masche mit dem Enkeltrick ist alt, aber perfide. Denn die Banden planen ihre Betrügereien immer professioneller. Nur ganz selten gelingt es der Polizei, an die Hintermänner zu kommen - in München stehen jetzt zwei von ihnen vor Gericht.

Susi Wimmer

Elfriede M. hatte jahrelang gespart, jeden Monat von ihrer Rente einen Teil zurückgelegt, alles für ihren behinderten Sohn, er sollte eine Altersvorsorge haben, wenn sie einmal nicht mehr war. Doch dann rief "Conni" an. Zumindest glaubte die 86-jährige Frau, dass es "Conni" war, der Sohn ihrer Schwägerin.

Betrug an der Haustür: Wenn der falsche Enkel klingelt. (Foto: iStockphoto)

Er sei zufällig in der Nähe, wolle sich eine Eigentumswohnung kaufen und der Notar "Neumann", bei dem er gerade sitze, benötige dringend eine Anzahlung, sagte der Mann am Telefon. Knapp eine Stunde später stand Elfriede M. vor dem Eingang des Altenheims, in dem sie lebt, und übergab einer wildfremden Frau ihr Erspartes. 10.000 Euro für "Conni".

"Conni" und "Herr Neumann" - nach polizeilichen Ermittlungen heißen sie im wahren Leben Josef M. Junior, 23, und Josef M. Senior, 46. Sie sollen ein Familienunternehmen der kriminellen Art führen: 63 Fälle von versuchten und vollendeten Enkeltrickbetrügereien werden ihnen vorgeworfen, mit mehr als 100.000 Euro Beute innerhalb weniger Monate.

Eine ganze Familienbande soll hinter den Straftaten stecken, "organisierte Kriminalität" nennt es die Polizei. Die Beamten mussten sogar in den eigenen Reihen ermitteln, denn auch eine Polizistin war der Großfamilie zu Diensten.

Von kommenden Dienstag an stehen Vater und Sohn vor Gericht. Für die Münchner Kripo ist das ein besonderer Coup. Denn erstmals ist es gelungen, die Hintermänner einer Enkeltrick-Bande zu schnappen.

Ratespiel am Telefon

Die Masche mit dem Enkeltrick ist alt, keiner weiß das besser als der Angeklagte Josef M. Er wurde bereits im Juni 2000 zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt - wegen Enkeltrickbetruges. Die Polizei kennt ihn auch wegen Teppichbetrügereien. Der vierfache Familienvater, gebürtiger Hamburger, bezeichnet sich selbst als selbständiger Teppichhändler und bezieht Arbeitslosengeld II. Die Staatsanwaltschaft jedoch ist der Meinung, dass der 46-Jährige zusammen mit seinem Sohn seinen Lebensunterhalt ausschließlich mit der Abzocke von Senioren bestreitet.

Die Betrügereien sind gut durchgeplant. Im Allgemeinen verfügen die Täter über Telefon-CDs, aus denen sie altmodische Namen aussuchen. Die Opfer heißen etwa Gertrud, Elfriede, Erna oder Hedwig. Im aktuellen Fall sollen die mutmaßlichen Täter von Polen aus operiert haben. Vater und Sohn, "Peppi" und "Peppino" genannt, wählten die Opfer aus. Einer von ihnen rief an und ließ die Senioren am Telefon raten, wer denn am Apparat sei. Meist nannten die Angerufenen den Namen eines Verwandten, und der Mann am Telefon brauchte nur noch "Ja" zu sagen.

Wurden die Opfer misstrauisch, hieß es, die Stimme klinge anders, weil man erkältet sei und vom Handy aus anrufe. Der Betrüger erzählte, er sei zufällig in der Nähe und wolle mit einem Kuchen vorbeischauen. Allerdings sitze er gerade beim Notar und befinde sich in einer Notsituation. Er brauche dringend Geld als Anzahlung für einen Wohnungskauf. Dann wechselte der Telefonhörer zwischen Vater und Sohn, es wurde quasi zum "Herrn Notar" verbunden, und der "Notar" versicherte dem Opfer, wie eilig die Angelegenheit sei.

Teilweise wurden die Opfer mit lauter Stimme eingeschüchtert und unter Druck gesetzt, mehrfach angerufen und permanent bequatscht, damit sie keine Zeit zum Überlegen oder zum Rückfragen bei dem tatsächlichen Verwandten hatten.

Während der eine Täter das Opfer am Telefon in Schach hielt, kümmerte sich der andere parallel um die Logistik und steuerte je nach Verlauf des Telefonats ein Abholerteam in die betreffende Stadt. Das Duo wurde via Handy zur Wohnadresse des Opfers dirigiert.

Einer im Team observierte das Haus, ob nicht doch die Polizei Wind bekommen haben könnte, der zweite klingelte an der Tür und gab sich als Abholer des Geldes aus, weil der Verwandte gerade verhindert sei. Als Abholer setzte die Bande gezielt Minderjährige ein, da sie im Falle einer Verhaftung schnell wieder auf freien Fuß gesetzt wurden.

Gleichzeitig soll der Kopf der Bande, Josef M. Senior, die anderen Täter im Vorfeld "abgesichert" haben: Die Großfamilie kalkulierte mit Festnahmen. In diesem Fall kam der Senior-Chef für die Anwaltskosten auf. Gleichzeitig soll laut Anklage eine Polizistin aus Hamburg im Auftrag der Großfamilie am Polizeicomputer abgefragt haben, ob gerade Ermittlungen gegen einen aus der Sippe laufen.

Von Oktober 2010 bis Februar 2011 ergaunerte sich die Familienbande laut Anklage in wechselnder Besetzung 105.600 Euro. Mehrere Anrufe tätigten Vater und Sohn täglich. Die meisten Betrügereien blieben im Versuchsstadium stecken. Allein im Januar 2011 registrierte die Polizei innerhalb von zwölf Tagen 390 Anrufe, die mit einer der Telefonnummern der Täter geführt wurden. Generell geht die Polizei beim Enkeltrickbetrug von einer hohen Dunkelziffer aus, weil die Opfer oft aus Scham schweigen. Die Täter suchen sich alte Menschen aus, weil sie hilfsbereit und vereinsamt sind und aufgrund körperlicher Schwächen die Betrüger später nicht identifizieren können.

In Mannheim etwa fielen für die Bande nach einem einzigen Anruf bei einer 88-Jährigen 20.000 Euro ab. Zwei Wochen später wurde zwar eine der Geldabholerinnen festgenommen, allerdings nur vorläufig. Die Minderjährige kam sofort wieder frei und war kurz darauf wieder aktiv. In St. Augustin wollte eine 96-jährige Frau nach einem Anruf ihres "Enkels" bei der Bank 10.000 Euro abheben. Eine aufmerksame Angestellte aber konnte das verhindern.

Permanent auf sie eingeredet

In Schmitten sollen es laut Staatsanwaltschaft die Betrüger sogar geschafft haben, eine Ehepaar dazu zu überreden, einen Überziehungskredit aufzunehmen. Die 71-jährige Rentnerin marschierte zur Bank, beschaffte 20.000 Euro als "Hilfe für Vetter Rainer", und übergab den Betrag an die Abholerin. Während der ganzen Zeit redete der zweite Anrufer permanent auf den 72-jährigen Ehemann am Telefon ein, dass alles seine Richtigkeit habe.

Am 11. April 2011 schnappte die Falle der Fahnder schließlich in Polen zu. "Peppi" und "Peppino" wurden festgenommen und nach Deutschland gebracht. Normalerweise ist es nahezu unmöglich, an die Hintermänner von Enkeltrick-Banden zu gelangen. Die sogenannten "Keiler", die die Opfer aussuchen, aber auch die Logistiker und Abholer wechseln permanent die Sim-Karten ihrer Handys. Kaum ist eine Telefonüberwachung geschaltet, agiert der Täter mit einer anderen Nummer. Abgesehen davon dürfen laut Gesetz die Nummern vom Provider nicht mehr gespeichert werden. In Bayern allerdings muss irgendetwas anders gelaufen sein.

Ein einziges Mal riefen die bundesweit agierenden Betrüger in München an: Anni A., 79, erklärte ihrem vermeintlichen Bekannten "Christian", dass sie kein Bargeld im Hause habe. Das Gespräch wurde beendet. Als der Betrüger wenig später erneut anrief, war Anni A. nicht zu Hause. Er sprach auf den Anrufbeantworter. Die Ermittler der Münchner Kripo brachten den Stein ins Rollen, wie sie letztendlich an die Täter gelangten, bleibt ihr Geheimnis.

Josef M. junior und Josef M. senior sitzen seit fast einem Jahr in Stadelheim in Haft und machen keine Angaben zu den Fällen. "Mein Mandant erklärt, er sei es nicht gewesen", sagt Leonore Gottschalk-Solger, Anwältin von Josef M. senior. Er werde im Prozess weiter schweigen.

© SZ vom 03.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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